Von 17.-18.09.2025 kam der CleaRNetworking-Jahrgang 2025 für Modul 6 im Romantik Hotel Gebhards im niedersächsischen Göttingen zusammen. Das Thema lautete dieses Mal „Reflexionen“ der eigenen (professionellen) Haltung.
Nach der Begrüßung bat CleaRNetworking-Projektleiter Junus el-Naggar die Teilnehmenden darum, sich in Zweiergruppen zusammenzufinden und gemeinsam über die pädagogischen und professionellen Herausforderungen im Handlungsfeld der schulischen Radikalisierungsprävention nachzudenken. Welche Faktoren hielten sie in diesem Handlungsfeld bzw. in ihrem Beruf allgemein?
Die Antworten auf diese Frage fielen dabei ganz unterschiedlich aus. In einem Fall sei es z.B. das gute Gefühl zu sehen, dass ehemalige Schüler:innen etwas aus sich gemacht hätten, zum Beispiel eine Lehrstelle gefunden oder einen guten Schulabschluss erworben. Eine andere Teilnehmerin berichtete, dass die bisherigen Fortbildungsmodule die sprichwörtliche Brille mit der sie auf schulische Konflikte schauen würde, verändert hätte. Sie würde an diese Konflikte nun deutlich gelassener und entspannter herangehen als noch zu Beginn der Fortbildung.

TAG 1: RELIGIONSSENSSENSIBILITÄT ALS PÄDAGOGISCHE HALTUNG
Formen der Begrüßung
Nach der Mittagspause begann der inhaltliche Teil des sechsten Fortbildungsmoduls. Es ging um Formen der Begrüßung. Die Art und Weise wie Menschen sich untereinander begrüßen würden sei ein gutes Beispiel dafür, um gesellschaftliche Normalitätserwartungen aufzuzeigen, so Projektleiter el-Naggar. Aber auch um zu zeigen, was passiere, wenn Menschen sich diesen nicht beugen wollten. Dazu sammelte das Plenum zunächst auf einer Flipchart Situationen, in denen sich die Teilnehmenden (un)bewusst mit einer oder mehreren gesellschaftlichen Norm(en) konfrontiert sahen, die sie, aus welchen Gründen auch immer, nicht erfüllen konnten. Unter den Antworten waren viele, in denen es um Geschlechterrollenbilder ging, es wurden aber auch Beispiele genannt, in denen es um kulturelle, religiöse oder generationale Erwartungshaltungen ging.
Anschließend bat el-Naggar die Teilnehmenden zu einer Positionierungsübung. Sei es aus ihrer Sicht respektlos, wenn eine Person der anderen bei einer Begrüßung den in Deutschland ‚üblichen‘ Handschlag zur Begrüßung verweigern würde? Es komme immer auf den Kontext an, so der Tenor des Publikums. Deutlich wurde jedoch, dass manche Begründungen für die Verweigerung als sozial akzeptierter angesehen wurden als andere. So wurde z.B. die Verweigerung aus Krankheitsgründen oder zu Zwecken des Infektionsschutzes allgemein als legitim betrachtet, religiöse Gründe, wie sie z.B. Vertreter:innen abrahamitischer Religionen vorbringen, wurden vom Plenum hingegen als weniger legitim betrachtet:
- Ekel;
- Gesellschaftliche Konventionen (Normalitätsannahmen/-erwartungen);
- Handgeben als Symbol für einen Vertrag, nicht für eine Begrüßung;
- aktiv nicht den Normen entsprechen zu wollen;
- Gesundheitsschutz für sich und andere;
- Provokation;
- abhängig von der Tagesform;
- Zeichen für Entschuldigung;
-Die andere Person wird schlicht für unsympathisch gehalten;
Projektleiter el-Naggar und Sören Sponick aus dem CleaRNetworking-Team stellten anschließend in einem Rollenspiel drei Szenarien dar, in denen es zu Konflikten um Begrüßungssituationen kam und baten die Tandems anschließend um eine Stellungnahme. Die Szenarien waren:
- A möchte B mit einem Handschlag begrüßen. B verweigert dies zu Beginn deutlich, gibt der Erwartung von A aber schließlich nach, da A penetrant darauf besteht;
- A möchte B mit einem Handschlag begrüßen. B verweigert dies mehrfach und wird nach mehrfacher Verweigerung schließlich aggressiv, fast bösartig beleidigend, ohne dies zu begründen. A zieht die Hand schließlich zurück;
- A möchte B mit einem Handschlag begrüßen. B verweigert dies und schlägt eine alternative Begrüßung vor. Etwa eine Verbeugung oder das Auflegen der Hand aufs Herz:
Das dritte Szenario wirke aus ihrer Sicht am realistischsten bzw. am ehesten wie eine Begrüßung, lautete der Tenor des Publikums. In Szenario eins habe A B seine/ihr Normen aufgedrückt, während es in B zu gar keiner Begrüßung gekommen sei, da B die von A vorgeschlagene Begrüßung rundherum abgelehnt habe, ohne jedoch eine Alternative anzubieten.
Die Diskussion kreiste anschließend um die Frage, ob die wechselseitige soziale Praktik des dem anderen Geschlecht nicht die Hand Gebens – so Ego nicht zur Familie von Alter gehört -, wie sie z.B. in einigen muslimischen Kulturen üblich ist, ein Zeichen von Respekt gegenüber dem jeweils anderen Geschlecht sei oder eines von Respektlosigkeit. Diese Praktik sei reziprok, betonte unser Projektleiter Junus el-Naggar. Genauso wie ein Händedruck z.B. im europäischen Kulturraum ein Zeichen für Gleichheit und Gleichwertigkeit sei, sei das wechselseitige sich nicht die Hand geben ein Erweisen von Respekt gegenüber dem jeweils anderen Geschlecht, aber keinesfalls eines der Abwertung oder gar der Ungleichwertigkeit.
Hier könnte ein Perspektivwechsel helfen: Formen des Begrüßens/Verabschiedens sind kulturell-historisch geprägt und quer über den Globus verschieden und verändern sich im Zeitverlauf. Mit Bezug auf das obengenannte Beispiel könnte mensch sich also fragen, was genau einen selbst eigentlich daran störe bzw. irritiere, dass B eine andere Form der Begrüßung bevorzuge bzw., warum man selbst dies für nicht normal oder abweichend halte? In einem Satz: Der Irritation nachgehen, anstatt sie beiseite zu schieben. Dieser Perspektivwechsel kann einem auch im beruflichen Alltag helfen, z.B. im Nachgang an die als irritierend erlebte Situation während des Gesprächs mit Kolleg:innen oder einer Supervision.
Religionssensibilität als pädagogische Haltung
Nach der Pause übernahm Oulfa Schmidt das Ruder. Die brachte dem Plenum das Thema Religionssensibilität als pädagogische Haltung näher. Die Sozialarbeiterin/-pädagogin arbeitet beim Verein beraten e.V. in Hannover und beschäftigt sich schon seit vielen Jahren mit dem Thema, wie schulisches Personal durch eine „religiös musikalische Haltung“ eine gute und vertrauensvolle Beziehung zu ihren Schüler:innen aufbauen kann.
Zum Einstieg spielte die Referentin dem Plenum Ausschnitte aus einer Fernsehdokumentation über die religiöse Gruppierung der Amish vor. Dabei handelt es sich um eine diverse religiöse Bewegung in den USA, die in ihrer konservativsten Form jede moderne Technik kategorisch ablehnt. Schmidt bat das Plenum darum, sich die Ausschnitte zunächst einfach anzusehen und auf sich wirken zu lassen. Danach wollte sie mit den Teilnehmenden ins Gespräch über das Gesehene kommen.
In der Diskussion zeigte sich, dass es gar nicht so leicht war, das Video unvoreingenommen zu betrachten. Das beginne schon bei der unreflektierten Gegenüberstellung der ‚ursprünglich‘ lebenden Amish-Jugendlichen aus der US-amerikanischen Provinz und den ‚modern‘ lebenden britischen Jugendlichen in London. Das sei auch darin begründet, dass solche Dokuformate die Differenz zwischen den darin gezeigten Gruppen bewusst überbetonten. Beide Gruppen hätte ihre jeweiligen Lebensstile, die deutlich unterschiedlich ausfielen. Dennoch gäbe es viele Gemeinsamkeiten, Träume und Wünsche nach festen und vertrauensvollen Beziehungen zu den Mitmenschen und einem glücklichen, gelingenden Leben.
Menschen würden immer durch die Brille der eigenen Sozialisation auf soziale Phänomene schauen, so Schmidt. Sie bzw. wir könnten gar nicht anders. Umso wichtiger sei es, sich der Perspektivengebundenheit des eigenen Blicks bewusst zu werden, schlug die Referentin die Brücke zu einer religionssensiblen pädagogischen Haltung im schulischen Alltag. Dies zeichne sich u.a. dadurch aus, ein offenes und ehrliches Interesse an der (religiösen) Lebenswelt und den Einstellungen, Haltungen, Werten der Schüler:innen zu haben, ihnen zuhören zu wollen, ohne zunächst eine bewertende Haltung einzunehmen. Eine solche Haltung sei nicht immer leicht durchzuhalten, gab Schmidt zu, vor allem bei Aussagen oder Praktiken, die dem eigenen Wertesystem oder professionellem Habitus vielleicht sogar konträr entgegenstehen würden.
Religion als Ressource/Türöffner:in
Religionssensibilität in der sozialen oder sozialpädagogischen Arbeit verstehe sie als eine reflexive Ressource schulischen Personale, um individuelle Ressourcen von Schüler:innen zu erkennen und zu mobilisieren, betonte Schmidt. Gleichzeitig könnten religiöse Lebensweisen auch ein Hindernis im Schulalltag darstellen. Etwa, wenn sie mit der Abwertung anderer Lebensweisen bzw. -stile einhergehen würden. Dabei habe Religion viele verschiedene (biographische) Funktionen für Menschen, so die Referentin. Sie methodisiere die Lebensführung, wirke sinnstiftend, spende Hoffnung und Trost in schwierigen Lebenssituationen oder -krisen und helfe schließlich auch dabei, den Umgang mit Transzendenz zu koordinieren und Aussagen über Sinn und Zweck des Lebens zu treffen.
Anschließend ging es in eine weitere Gruppenübung. Schmidt präsentierte den Tandems eine Reihe von Bildern auf denen betende Kinder zu sehen waren. Anschließend bat sie das Plenum darum, die Eindrücke zu schildern, die die Teilnehmenden während der Betrachtung gehabt hätten. Leider hatte das CleaRNetworking-Team diese Übung bereits in einem früheren Fortbildungsmodul vorgestellt. Die Diskussion fiel daher recht kurz aus. Es sei ihr dennoch wichtig zu betonen, dass je mehr schulisches Personal über die Lebenswelt junger Menschen erfahre, z.B. über Gespräche, Visualisierungen etc., auch die Qualität der pädagogischen Beziehung zunehme.
Es folgte eine Fallarbeit zu religiöser Musikalität als pädagogischer Haltung, wie Schmidt es im Anschluss an ein Zitat des Heidelberger Soziologen Max Weber formulierte. Dazu teilte sie das Plenum in sechs Kleingruppen auf und bat diese darum, folgende drei Szenarien auszuarbeiten:
- Eine Schule vertritt keine religiös-musikalische Haltung. Religionsausübung wird sanktioniert
- Eine Schule vertritt gegenüber Religion eine neutrale Haltung
- Eine Schule vertritt eine religiös-musikalische Haltung und betrachtet die individuelle Religiosität ihrer Schüler:innen als eine pädagogische Ressource
Nach der Diskussion in Kleingruppen kamen die Fortbildungsteilnehmer:innen wieder im Plenum zusammen. Die beiden Gruppen, die das erste Szenario bearbeitet hatten, stellten ihre Ergebnisse als erstes vor. Es zeigte sich, dass Religion(sausübung) an dieser Schule keinen Platz hatte und jede Form oder Äußerung der Schüler:innen stark sanktioniert wurde. Religiosität werde in einer solchen Schule nicht als Ressource verstanden, sondern als Störung, sagte eine der Teilnehmerinnen. Bereits in der Formulierung der ersten Frage stecke bereits ein Missbrauch durch die Schulleitung, kritisierte ein anderer Teilnehmer. Diese greife in den Invidiualbereich von Schüler:innen ein. Aus Sicht des CleaRNetworking lässt sich hier mit Verweis auf das Netzwerktreffen zu schulischer Neutralität mit Prof. Dr. Felix Hanschmann erinnern. Darin zeigte er deutlich auf, dass Schüler:innen (wie auch schulisches Personal) ihre Grundrechte, in diesem Fall das Grundrecht auf freie Religionsausübung keinesfalls an der Schulpforte abgeben und auch nicht dazu gezwungen werden dürfen.
Die Gruppen, die das zweite Szenario bearbeitet hatten, vertraten eine Haltung der Indifferenz gegenüber Religion(sausübung) in der Schule. Sie wurde nicht gefördert oder behindert, aber auch nicht als individuelle Ressoruce für Beziehungsaufbau verstanden. Überwältigungsversuche von Schüler:innen oder weiteres Fehlverhalten wurde dennoch entsprechend sanktioniert. Die Nicht-Beschäftigung mit Religion sei auch eine gangbare Strategie, um keine schlafenden Hunde zu wecken, so eine Teilnehmerin. Also, um möglichen Folgeproblemen des Einbezugs von Religiosität in schulische Prozesse und Strukturen präventiv aus dem Weg zu gehen.
Eine positive Haltung gegenüber Religion nahmen jene Gruppen ein, die das dritte Szenario bearbeitet hatten. Religion(sausübung) wurde hier nicht sanktioniert, sondern vielmehr die individuelle Religiosität der Schüler:innen als eine nützliche und hilfreiche Ressource für Beziehungsaufbau verstanden. Auf diese Weise könne eine Schule gestaltet werden, in der sich alle Schüler:innen erwarten könnten, so wie sie seien, willkommen, gesehen und angenommen zu werden. “Wenn wir uns als Professionelle mit Schüler:innen in den Austausch begeben, eröffnen sich immer große Potenziale”, ergänzte Schmidt. Dies gelte ausnahmslos für alle Religionen.
Konturen einer religionssensiblen Schulkultur
Zum Abschluss des Fortbildungstages bat Oulfa Schmidt die Teilnehmenden erneut, sich in Kleingruppen zusammenzutun. Die Aufgabe: Konturen bzw. Grundlagen einer Schulkultur zu entwickeln, die konstruktiv mit Religiosität im Schulalltag umgehen kann.
Hier kamen von den Teilnehmenden zahlreiche Vorschläge zusammen. Eine kursorische Auswahl ohne Anspruch auf Vollständigkeit:
- Keine Klausuren in die Nähe von religiösen Feiertagen oder auf diese legen;
- Diese Regelung sollte ausnahmslos für alle Religionen gelten;
- Die entsprechenden Vorschläge der Landesinstitute bzw. -ämter für Schule und Bildung aufgreifen und berücksichtigen;
- Eine Liste mit (den wichtigsten) (inter)religiösen Feiertagen vorhalten und diese öffentlich aushängen, z.B. am schwarzen Brett der Schule;
- Einen Raum der Stille installieren, der Angehörigen aller Religionen offensteht, aber auch agnostischen und/oder atheistischen Schüler:innen als Rückzugsort oder Ruheraum dient;
- Erheben, welche Religionsgemeinschaften überhaupt an der Schule vertreten sind;
- Einen schulinternen Diskussionsprozess darüber anstoßen, welche religiösen Feste an der Schule gefeiert werden, bzw. gefeiert werden sollen;
Tag 2: Reflexion schulischer Macht- und Diskriminierungsstrukturen
Am zweiten Tag des CleaRNetworking-Weiterbildungsmoduls am 18. September 2025 stand die Reflexion schulischer Macht- und Diskriminierungsstrukturen im Mittelpunkt. Moderiert wurde der Tag von Modou Diedhiou, freiberuflicher Trainer für Empowerment und rassismuskritische Bildung. Ziel war es, schulisches Personal dabei zu unterstützen, die eigene Rolle kritisch zu hinterfragen und Handlungsmöglichkeiten für eine diskriminierungssensible und präventive Schulkultur zu entwickeln.
Einstieg: Machtverhältnisse in der Schule reflektieren
Zu Beginn fragte Modou Diedhiou die Gruppe danach, über welche Macht jede:r der Anwesenden in der Schule verfügt. Diese Reflexion verdeutlichte, wie stark der schulische Raum von Machtverhältnissen geprägt ist – und wie groß der Einfluss von Lehrkräften und pädagogischen Fachkräften sein kann. Die Teilnehmenden benannten verschiedene Formen dieser Macht, wie etwa die Gestaltung der Tagesstruktur der Schüler:innen, den Einfluss auf Klassenklima und Lernatmosphäre, ihre Vorbildfunktion im Alltag sowie Entscheidungen, die Zukunftschancen von Schüler:innen beeinflussen.
Eine besonders eindrückliche Anekdote des Referenten zeigte, wie folgenreich diese Macht sein kann: In einem Stipendienprogramm für junge Menschen mit Migrationsgeschichte berichteten fast alle, dass ihnen in der Schule das Abitur nicht zugetraut wurde – mit erheblichem Einfluss auf ihren Bildungsweg.
Perspektivwechsel: Ohnmachtserfahrungen von Schüler:innen
Anschließend wurde diskutiert, wo Schüler:innen im schulischen Alltag Ohnmacht erleben können. Genannt wurden etwa fehlende Mitbestimmung bei Themen und Unterrichtsinhalten, kaum Einfluss auf Klassengrößen oder Lehrkräfte, Erfahrungen von Stigmatisierung sowie Situationen, in denen bekanntes Fehlverhalten nicht adressiert wird, beispielsweise bei sexualisierter Gewalt durch Erwachsene. Diese Beispiele machten deutlich, dass Schule sowohl Ort von Schutz und Entwicklung als auch von Ausgrenzung und Ohnmacht sein kann.
Privilegien sichtbar machen
Im weiteren Verlauf des Vormittags wurde der Blick auf das Thema Privilegien gelenkt. In interaktiven Übungen wurde sichtbar, dass alle Menschen gleichzeitig Privilegien und Diskriminierungserfahrungen in sich tragen. Dabei ging es um vielfältige Kategorien wie Geschlecht, Herkunft, soziale Klasse (Klassismus), Behinderung (Ableismus) und viele mehr.
Besprochen wurde auch das Konzept der Intersektionalität nach Kimberlé Crenshaw: Diskriminierung entsteht nicht nur entlang einer einzelnen Kategorie, sondern an den Schnittstellen mehrerer Identitätsmerkmale. Ursprung des Konzepts war eine Klage bei General Motors, wo schwarze Frauen nicht eingestellt wurden. Das Unternehmen verteidigte sich: „Wir stellen Schwarze ein, und wir stellen Frauen ein“ – übersah dabei jedoch, dass die Kombination „schwarz und weiblich“ ausgeschlossen blieb.
Die Diskussion machte deutlich, dass Privilegien oft unsichtbar bleiben, solange man sich innerhalb gesellschaftlicher Normen bewegt, und dass schulisches Personal – bewusst oder unbewusst – von diesen Strukturen profitiert, beispielsweise bei Bewerbungen oder gesellschaftlicher Anerkennung. Der Referent betonte, dass es dabei nicht um Schuld, sondern um Bewusstsein und Verantwortung gehe.
Institutionelle Diskriminierung im Schulalltag
In Gruppenarbeiten reflektierten die Teilnehmenden, wie strukturelle Faktoren im Schulalltag Diskriminierung fördern können. Genannt wurden unter anderem fehlende Beschwerdestrukturen, mangelnde Barrierefreiheit, nicht ausreichende Stundenkontingente für Präventionsarbeit, Elternbriefe, die nicht in verständlicher Sprache verfasst sind, fehlende Anerkennung internationaler Bildungsabschlüsse sowie die Notwendigkeit, vielfältige Lebensrealitäten stärker einzubeziehen – etwa beim Schwimmunterricht oder in der Planung schulfreier Tage.
Diskriminierungskritische Fallarbeit
Am Nachmittag wurden konkrete Fallbeispiele aus dem Schulalltag besprochen.
In einem Fall nutzte ein älterer Mann während einer Klassenfahrt in der Straßenbahn das N-Wort, nachdem er einen Schüler als „zu laut“ empfand. Die Herausforderung für die Lehrkraft bestand darin, den betroffenen Schüler zu unterstützen, den rassistischen Vorfall klar zu benennen und gleichzeitig eine Deeskalation zu schaffen, da ein weiterer Schüler auf den Mann losgehen wollte.
Solche Situationen zeigen, wie komplex der Umgang mit Diskriminierung sein kann und dass nicht immer eine Anzeige oder ein offizieller Weg möglich oder erfolgversprechend ist.
Verbindung zu Prävention: Religions- und Diskriminierungssensibilität
Zum Abschluss wurde der Zusammenhang zwischen Religionssensibilität, Diskriminierungssensibilität und Radikalisierungsprävention herausgearbeitet.
Wenn Religion tabuisiert wird, erleben Schüler:innen oft Ausgrenzung und Nicht-Anerkennung. Eine religionssensible Schule schafft sichere Räume, um über Glauben, Zweifel und religiöse Fragen offen sprechen zu können. Diskriminierungserfahrungen sind ein wichtiger Risikofaktor für Radikalisierung. Werden sie nicht wahrgenommen oder bearbeitet, kann dies Gefühle von Ohnmacht und Ungerechtigkeit verstärken – ein Nährboden für extremistische Gruppen. Prävention gelingt dann, wenn Schüler:innen ihre Grundbedürfnisse nach Zugehörigkeit, Anerkennung und Selbstwirksamkeit innerhalb der Schule erfüllt sehen – und nicht außerhalb in radikalen Milieus. „Schule kann Teil des Problems sein – oder Teil der Lösung“, fasste eine Teilnehmerin zusammen.
In der Feedbackrunde betonten die Teilnehmenden unter anderem, dass Diskriminierungserfahrungen ein Nährboden für Radikalisierung sind, dass Beziehungsarbeit das Fundament jeder Prävention bildet und dass Schüler:innen immer als ganze Menschen gesehen werden sollten. Reflexion sei oft schmerzhaft, es sei jedoch wichtig, sich selbst Fehler zu verzeihen. Zum Abschluss reflektierten die Teilnehmenden zwei Fragen:
Wie lassen sich die Erkenntnisse in die eigene schulische Praxis übertragen?
Und welche nächsten Schritte sind nötig, um Religions- und Diskriminierungssensibilität strukturell im schulischen Radikalisierungspräventionskonzept zu verankern?
Der zweite Tag des Moduls zeigte eindrucksvoll, dass Prävention nicht nur Wissen, sondern auch Selbstreflexion erfordert. Wer Schüler:innen vor Radikalisierung schützen möchte, muss bereit sein, eigene Privilegien und Machtverhältnisse kritisch zu betrachten und Diskriminierung konsequent zu bekämpfen. Schule kann so zu einem Ort werden, der Schüler:innen stärkt – und ihnen zeigt, dass sie dazugehören.