Am 14.01.2025 fand die vierte Ausgabe unserer digitalen CleaRExchange-Reihe statt. CleaRExchange verfolgt das Ziel, unser schulisches Personal mit verschiedenen außerschulischen Präventionsakteur:innen zu vernetzen, die ihre Arbeit und den Nutzen vorzustellen, den ihre Angebote für schulisches Personal haben können.

Gast dieser Ausgabe war Janusz Biene-Clément, Co-Verbundleiter des Legato Projektverbunds; Legato Beratung ist ein Projekt im Legato Projektverbund. Biene-Clément hatte einen Abriss der bundesweiten Beratungslandschaft bei Hinweisen auf Radikalisierung mitgebracht, ging etwa ging auf die Angebote zivilgesellschaftlicher Fach- und Beratungsstellen wie z.B. Legato sowie auf die Hotline der Beratungsstelle Radikalisierung des BAMF ein. Auf der Webseite www.beratungsstelle-radikalisierung.de finden sich 16 staatliche Beratungsstellen im ganzen Bundesgebiet, mit 5 bis 20 Mitarbeitenden, an die sich schulisches Personal wenden kann. Entsprechend könne man als schulisches Personal, das Rat bei einer externen Beratungsstelle sucht, davon ausgehen, dass ohne Zustimmung und in Fällen, in denen keine Selbst- oder Fremdgefährdung zu befürchten ist, keine geteilten Infos über Hinweise auf Radikalisierung an der eigenen Schule von der beratenden Person zu Sicherheitsbehörden oder an andere Stellen weitergegeben werden, so der Referent.

„Beratungsstellen geben keine Informationen weiter“

Biene-Clément ging in diesem Zusammenhang auf den Unterschied der Präventionsarbeit zwischen Sicherheitsbehörden und Berater:innen ein. Während Sicherheitsbehörden etwa das Ziel verfolgten, öffentliche Sicherheit herzustellen, verfolgten Berater:innen einen pädagogischen Ansatz, nämlich vorhandene Kompetenzen weiterzuentwickeln und Probleme auf nicht gewaltsame Art zu lösen. Referenzpunkt dabei ist im Gegensatz zu Sicherheitsbehörden eben nicht öffentliche Sicherheit, sondern ein Individuum mit seinen individuellen Krisen und Bedürfnissen. Aus Sicht des Projekts CleaRNetworking gilt es für schulisches Personal, sich dem Konfliktpotenzial dieser beiden Perspektiven bewusst zu sein und hinter dem eigenen Ansatz zu stehen. Entsprechend könne man als schulisches Personal, das Rat bei einer externen Beratungsstelle sucht, davon ausgehen, dass keine geteilten Infos über Hinweise auf Radikalisierung an der eigenen Schule von der beratenden Person zu Sicherheitsbehörden oder an andere Stellen weitergegeben werden, so der Referent.

„Unabhängige Arbeit gewährleistet“

Biene-Clément ging anschließend genauer auf das Angebot von Legato ein. Angesiedelt bei zwei Trägern in Hamburg und  arbeitet die Beratungsstelle seit 2015 unabhängig. Die Angebote finden in Hamburg, Bremen sowie bundesweit statt. Weil die Unabhängigkeit von letztlich staatlich finanzierten zivilgesellschaftlichen Beratungsstellen immer wieder, teils auch gezielt, hinterfragt werde, betonte er, dass unabhängige Beratungsarbeit gewährleistet werde und niemand Legato in die Arbeit reinrede. Zielgruppen der Beratungsstelle sind Indexklient:innen (etwa Rückkehrer:innen aus Kriegsgebieten), aber auch Angehörige und Fachkräfte, für die Legato Einzel- und System- und Fachberatung und Workshops anbietet. In der Beratungsarbeit verfolge Legato einen dezidiert systemischen Ansatz, so der Referent.

„Beziehungsarbeit ist essenziell“

Wer genau beraten wird, sei von Fall zu Fall verschieden. In manchen Fällen könne es z.B. sinnvoll sein, nicht die sich vermeintlich radikalisierende Person selbst zu beraten, sondern eher deren Umfeld, etwa eine Fachkraft (z.B. Lehrkraft) oder Angehörige (z.B. die Mutter).  So könne eine Wiederherstellung, Stabilisierung oder Verbesserung der Beziehung einer vermeintlich radikalisierenden Person zu engen Bezugspersonen dazu beitragen, einen Ausweg aus dem Radikalisierungsprozess zu finden, so der Referent.

„Wir arbeiten mit Menschen, nicht mit Phänomenen“

Während Projekte wie die Hamburger Beratungsstelle von Legato phänomenspezifisch (Fokus: religiös begründete Radikalisierung) arbeiten, nehmen andere Legato-Projekte eine phänomenübergreifende Perspektive ein. Stets bestehe das Ziel der Berater:innen darin, den Menschen, die Kontakt zu Legato suchen darin, ihnen den Druck zu nehmen statt Phänomene einfach nur in vorgefertigte Schubladen zu stecken. Immer wieder landeten bei Legato auch Fälle aus den Phänomenbereichen der als Terrororganisation eingestuften kurdischen Arbeiterpartei PKK, türkischer Rechtsextremismus (graue Wölfe) oder Verschwörungstheorien. Es könne auch sein, dass die Beratung suchenden letztlich beispielsweise zu einer anderen Beratungsstelle, z.B. zu einer mobilen Beratungsstelle gegen rechts, weitergeleitet würden. Wichtig sei jedoch vor allem, dass schulisches Personal, das Hilfe suche, sich – irgendwo – melde. Man werde letztlich weitergeleitet an eine kompetente Stelle, denn die Beratungsstellen seien bundesweit und phänomenübergreifend miteinander vernetzt.

„Die Ideologie ist nur die Brücke über eine individuelle Krise“

Auf die Frage einer Anwesenden erklärte Biene-Clément, phänomenübergreifende Ansätze seien in der Prävention inzwischen relativ unbestritten. Dies gelte besonders für den Bereich der sogenannten universellen Prävention. In der Beratungsarbeit selbst hingegen bleibe Phänomenwissen wichtig. Es sei entsprechend unabdingbar, dass Beratungspersonal ein Grundwissen über Schlüsselbegriffe aus einzelnen Phänomenbereichen habe. Phänomenübergreifend zu denken, also Überschneidungen etwa zwischen rechtsextremer und religiös begründeter Radikalisierung hervorzuheben, mache dennoch Sinn, um Übergänge und Brückennarrative zwischen Phänomenen erkennen zu können und wach dafür zu bleiben, wie sich verschiedene Phänomene vermischen. Es gehe häufig eben um individuelle Umstände hinter einer Radikalisierung, beispielsweise die Trennung der Eltern. Eine radikale Ideologie sei in diesem Zusammenhang nur die individuelle Brücke über die jeweilige Krise.

„Die eigene Fachsprache der der anderen anpassen“

In der Diskussion kam außerdem die Frage nach Strategien auf, um regionale Zusammenarbeiten zwischen Fachpersonal aufzubauen. Am Ende arbeiteten all die Akteur:innen doch häufig noch für sich, merkte eine Teilnehmerin kritisch an. Biene-Clément brachte daraufhin einige Tipps ein, um sich regional-strukturell besser aufzustellen. Es helfe beim Anstoßen regionaler Kontakte etwa, die eigene Fachsprache an die der anderen anzupassen und mache Sinn zu wissen, was die Ziele der anderen sind, um mit deren Stichworten zu arbeiten und Türen zu öffnen. Es gelte, das Mandat anderer Akteur:innen, beispielsweise des Ordnungsamts oder des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD) zu kennen. Ferner könne ratsam sein, gemeinsame Austausch-Veranstaltungen anzuregen oder bei entsprechenden Ressourcen offensiv zu kommunizieren, dass man ein bisschen Geld mitbringe.

„Hauptsache erstmal irgendwo anrufen!“

Auf die Frage einer Teilnehmerin, ob Biene-Clément potenziellen Beratung-Suchenden die Hemmung nehmen könne, sich tatsächlich zu melden, entgegnete dieser, er könne Beratung-Suchende insofern beruhigen, als meist kein riesiger Rattenschwanz hinter einem Erstkontakt stecke. Das Beratungspersonal sei sich meist darüber bewusst, dass der Zeitfaktor bei Rat-Suchenden eine große Rolle spiele und es entsprechend meist nicht auf einen Rückruf oder einen Telefontermin hinauslaufe, sondern häufig auch eine Sofort-Beratung möglich sei. Kein:e Berater:in wolle die Anrufenden abschrecken. Auch ein Anruf aus Hessen bei einer regionalen Beratungsstelle in Hamburg oder bei der bundesweiten Beratungsstelle des BAMFs sei sinnvoll. Letztlich komme man immer bei einer kompetenten zuständigen Stelle raus: „Hauptsache erstmal irgendwo anrufen!“

Biene-Clément nahm den Anwesenden an diesem Abend die Sorgen vor der Kontaktaufnahme zu externen Beratungsstellen und ermutigte sie, die bundesweiten vorhandenen Kompetenzen wahrzunehmen.