Am 13. und 14.06.2023 kamen die Teilnehmenden der CleaRNetworking-Weiterbildung in Nürnberg zum dritten Modul im Hotel Silberhorn in Nürnberg zusammen. Das dritte Modul hatte den Schwerpunkt Recht. Es galt also, die rechtlichen Rahmenbedingungen der schulischer Radikalisierungsprävention abzustecken. Dafür war der emeritierte Prof. Dr. jur. Klaus Riekenbrauk eingeladen. Riekenbrauk ist Rechtsanwalt mit den Schwerpunkten Strafrecht, Jugendstrafrecht, Jugendhilferecht und Menschenrechte. Schwerpunkte des Moduls lagen in den strafrechtlichen Bestimmungen im Kontext von radikalisiertem Verhalten, in der Anzeigepflicht, in den schulrechtlichen Vorgaben der unterschiedlichen Bundesländer der Teilnehmenden, in der Kindeswohlgefährdung, im Datenschutz, der Schweigepflicht und Offenbarungsbefugnissen und -pflichten.

Vermittelt wurde den Teilnehmenden unter anderem, dass es sich bei dem skizzierten rechtlichen Rahmen auch um einen solchen, um einen Rahmen nämlich, handelt, der also gewissen Spielraum bietet. Recht, das war eine zentrale Erkenntnis für mehrere Teilnehmende, ist nicht so starr, wie man meinen könnte.

Mit Blick auf das Jugendstrafrecht ging Riekenbrauk auf die unterschiedlichen Mündigkeiten je nach Alter der Kinder/Jugendlichen ein. Unter 14 Jahren sind Kinder strafunmündig; zwischen 14 und 17 Jahren werden sie nach dem Jugendgerichtsgesetz behandelt, das sich vom Strafrecht für Erwachsene unterscheidet, etwa indem Sanktionen aufgrund des Erziehungsgedankens tendenziell begrenzt werden und eine frühzeitige Haftentlassung früher als bei Erwachsenen möglich ist. Zwischen 18 und 20 Jahren können die Betroffenen je nach geistiger Entwicklung nach Jugendgerichtsgesetz oder nach Erwachsenenstrafrecht behandelt werden.

In diesem Zusammenhang zeigte sich die Macht, die Richter:innen inne haben. Ob nach JGG oder Erwachsenenstrafrecht geurteilt wird, liegt im Ermessen des Richters oder der Richterin. Auch sind etwa psychiatrische Gutachten in diesem Zusammenhang lediglich eine unverbindliche Unterstützung in der Urteilsfindung. Im Rahmen des Vergleichs der schulrechtlichen Vorgaben zwischen Bayern und NRW ergaben sich etwa insofern Unterschiede, als die Wahrscheinlichkeit, als 19-jährige:r nach Erwachsenenstrafrecht beurteilt zu werden, in Bayern tendenziell höher ist, als in NRW.

Riekenbrauk wies außerdem auf den Erziehungsgrundsatz im Strafrecht hin, nach dem Ziel von Strafe nicht Vergeltung oder Generalprävention sein darf, sondern ausschließlich die Verhinderung zukünftiger Straffälligkeit. Riekenbrauk beschränkte sich in seinen Beiträgen nicht auf die trockene Frontalvermittlung der relevanten Inhalte, sondern blickte auf diese auch immer wieder erfrischend kritisch, wie einige Teilnehmende später auch rückmeldeten. Je härter die rechtlichen Maßnahmen, desto größer die Rückfallwahrscheinlichkeit.

Thema war auch die Unterscheidung zwischen Sanktionen (z.B. Arbeitsstunden, soziale Trainingskurse, Wohnen bei einer Familie, Täter-Opfer-Ausgleich, Verkehrsunterricht) und Zuchtmitteln (z.B. Haft).

Konkret widmete sich die Gruppe auch den unterschiedlichen Straftatbeständen von der Volksverhetzung über die Aufforderung zu Gewalt, Gewaltdarstellungen bis zu Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen. Wo also findet die ja grundgesetzlich garantierte Meinungsfreiheit ihre Grenzen?

Kontrovers diskutiert wurden etwa die Fragen nach den Unterschieden zwischen dem Billigen, dem Verherrlichen oder dem Rechtfertigen; was bedeutet also Gutheißen, was Bestreiten von Tatsachen, was bagatellisieren? Handelt es sich beim Schulhof um öffentlichen Raum und gelten die entsprechenden rechtlichen Grundsätze?

Hingewiesen wurden die Teilnehmenden auch auf die Anzeigepflicht. Erfährt eine Lehrkraft beispielsweise von einem begangenen Mord, so ist sie grundsätzlich nicht verpflichtet, diesen zur Anzeige zu bringen. Erlangt sie jedoch Kenntnis von einem geplanten Mord, dann ist sie dazu verpflichtet, um ihn zu verhindern. Immer wieder kam dabei die praktische Frage auf, inwiefern schulisches Personal Fälle anzeigen soll oder sie pädagogisch angehen und Staatsgewalt raushalten soll.

Riekenbrauk ging auf die Rolle von Jugendämtern ein, die Gefährdungsrisiken einschätzen müssen. Die Verpflichtung schulischen Personals, bei den Erziehungsberechtigten im Falle von fortschreitender Radikalisierung auf die Inanspruchnahme von Hilfen hinzuwirken, bedeute eine Meldung ans Jugendamt. Ein Jugendamt muss dann eine beratende Fachkraft zur Verfügung stellen, was aber in der Praxis häufig nicht passiert. Das schulische Personal hat dann gar einen Anspruch darauf, zu erfahren, was das Jugendamt unternommen hat. Hat sich die Gefährdung also etwa bestätigt; ist man tätig geworden?

Während Datenschutz grundsätzlich den Informationsfluss sperrt, ist (verbeamtetes) schulisches Personal unter Umständen verpflichtet, die Schulleitung über Fälle von Radikalisierung zu informieren. Auch die Weitergabe von Daten ans Jugendamt ist dann zulässig, wenn dies zur Erfüllung der ihnen durch Rechtsvorschriften übertragenen Aufgaben erforderlich ist. Es ging also um die Balance zwischen Datenschutz und notwendiger Kommunikation im Rahmen von Radikalisierungsprävention. In dem Zusammenhang relevant ist auch die Schweigepflicht, denn wer unbefugt ein fremdes Geheimnis offenbart, das ihm anvertraut worden oder sonst bekannt geworden ist, wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. Praktisch stellt sich die Frage, wie schulisches Personal vorgeht, wenn ein:e Schüler:in von sexuellem Missbrauch erzählt und zugleich darauf besteht, dass die Information nicht weitergegeben wird. Was wiegt dann schwerer? Die Schweigepflicht oder das Rechtsgut der freien sexuellen Entwicklung?

Der Legalitätsgrundsatz besagt, dass die Polizei bei Kenntnis von strafbarem Verhalten zur Ermittlung verpflichtet ist. In diesem Zusammenhang wurden die juristischen Perspektiven um solche aus der Schulpraxis ergänzt. Dafür wurde Dr. Gabi Elverich digital zugeschaltet, die betonte, dass rechtliche Kenntnisse absolut relevant ist, dass die Teilnehmenden aber vor allem ihre pädagogischen Kompetenzen in Radikalisierungsprävention einbringen sollen. Elverich hob hervor, Neutralität heiße nicht, dass schulisches Personal alles gutheiße, sondern, ganz im Gegenteil, dass demokratiefeindlichen Bestrebungen entgegentreten werden müsse. Sie wies auf den wertegebundenen Erziehungsauftrag hin. Es handelt sich beim Entgegenwirken verfassungsfeindlicher Bestrebungen also um einen gesetzlichen Auftrag. Elverich verwies auch auf den Beutelsbacher Konsens, nach dem Schüer:innen nicht zu überwältigen sind und Kontroversität in der Vermittlung kontroverser Inhalte aufrechtzuerhalten sein. Schule müsse per se diskriminierungskritisch sein, wenn sie bloß ihre eigenen gesetzlichen Grundlagen ernst nehme. Elverich brachte praktische Perspektiven ein, indem sie vorschlug, im Falle problematischer Sticker, Logos oder T-Shirts auch mal nachzufragen, was diese bedeuten würden. Nehme man Veränderungen wahr, gelte es diese zu spiegeln, auch emotionale Sorge auszudrücken, dabei aber stets die Unschuldvermutung gelten zu lassen, den Respekt vor der Person zu wahren und Fragen als Denkanstöße zu formulieren. Es gilt außerdem, die eigenen Vorgaben nicht nur für Schüler:innen gelten zu lassen, sondern sich als Lehrkraft auch selbst daran zu halten, Vertraulichkeit zu bewahren, in der Pause den Klassenraum zu verlassen, etc. Kritisch bemerkte Elverich, vermeintliche islamistische Radikalisierung werde in Schulen tendenziell früher problematisiert und dramatisiert, während für Rechtsextremismus größeres Verständnis herrsche. Sie wies außerdem auf die Wichtigkeit davon hin, schulische Konzepte, Strategien und Regeln zu verschriftlichen, um eine gemeinsame verbindliche Grundlage zu haben.

Dieses Modul zeichnete sich, so auch das Feedback der Teilnehmenden, durch eine Ausgewogenheit aus zwischen der Vermittlung zentraler rechtlicher Kenntnisse und der Anwendung von und der Reflexion über ebenjene. Immer wieder wurden die thematisierten Inhalte in Gruppenarbeiten gemeinsam angewendet. Wie also sind Sprüche gegen Schwarze, gegen Juden oder Jüdinnen, gegen Geflüchtete, gegen Muslim:innen etc. strafrechtlich zu bewerten? Wie ist etwa die Äußerung „Ey, du Jude“ strafrechtlich zu bewerten; wie die Äußerung „Warum vergewaltigt ihr Araber unsere deutschen Frauen“; wie die Äußerung „Ihr Muslime seid doch alle Bombenleger“, wie „N… Go hom“? Wie sind Sprühungen zu bewerten wie „Adolf statt Olaf“, wie ein tätowiertes Hakenkreuz? Wann ist man verpflichtet, Wissen an die Schulleitung, an Eltern, ans Jugendamt oder die Polizei weiterzugeben? Anhand praktischer Fälle wurden die Teilnehmenden für solche Fragen sensibilisiert.