Am 9. April 2025 veranstaltete die Bundesarbeitsgemeinschaft religiös begründeter Extremismus (BAG Rel Ex) einen Fachaustausch zum Thema Emotionen in politischer Bildung und Prävention. Auch die Projektleitung von CleaRNetworking nahm teil. Die zentralen Erkenntnisse dieser Veranstaltung, insbesondere im Hinblick auf die Arbeit von Lehrkräften und Schulsozialarbeiter:innen rund um schulische Radikalisierungsprävention, fassen wir im Folgenden zusammen und ergänzen sie um praxisnahe Empfehlungen:
An vielen deutschen Schulen gibt es eine gewisse Zurückhaltung gegenüber der gezielten pädagogischen Arbeit mit Emotionen. Das hat Wurzeln in der deutschen Geschichte, in der das nationalsozialistische Regime Emotionen gezielt zur Manipulation einsetzte. Gleichzeitig gewinnen Emotionen in politischen Diskursen zunehmend an Bedeutung.
Die Veranstaltung machte deutlich, dass emotionale Lerninhalte sich bei Schüler:innen oft nachhaltiger einprägen als rein sachliche Informationen. Daher kann eine bewusste Auseinandersetzung mit Emotionen in der schulischen Praxis gewinnbringend sein, im Fachunterricht wie auch in der Radikalisierungsprävention.
Die Rolle von Emotionen in der Radikalisierung
Radikale Akteur:innen nutzen gezielt die emotionalen Bedürfnisse junger Menschen, um sie für ihre Ideologien zu gewinnen. Schulen sollten dem entgegenwirken, indem sie selbst einen bewussten Umgang mit Emotionen fördern. Ein Beispiel dafür sind Methoden, die Schüler:innen helfen, ihre Gefühle zu reflektieren und zu verbalisieren.
Die Methode des Emotionskochtopfs [1], entwickelt von Bildungsbausteine e.V., ermöglicht es, Emotionen zu komplexen Themen wie dem Nahostkonflikt sichtbar zu machen. Diese Methode kann adaptiert werden, um ähnlich kontroverse und emotionale Konfliktthemen (im Unterricht) aufzugreifen.
Schulisches Personal sollte gerade vor emotionalisierenden Themen keinen Halt machen. Viele Schüler:innen verspüren einen intensiven Wunsch danach, Themen die sie – auch emotional – bewegen, zu besprechen. Emotionen können gerade bei herausfordernden Themen eine große Chance darstellen, miteinander ins Gespräch zu kommen. Für schulisches Personal wie auch für Schüler:innen kann es hilfreich sein, die eigenen Emotionen zu benennen und zu ordnen.
Deswegen sollte sich schulisches Personal nicht vor emotional aufgeladenen Themen scheuen. Viele Jugendliche haben das Bedürfnis, über sie bewegende Themen zu sprechen. Der Nahostkonflikt beispielsweise hat in vielen jungen Menschen in Deutschland ein großes Ungerechtigkeitsempfinden ausgelöst. Dieses Empfinden lässt sich auf einer sachlichen Ebene kaum vollständig aufgreifen, und so wird die Notwendigkeit deutlich, sich diesem Thema – und vielen weiteren – auch auf einer emotionalen Ebene zu nähern. Es würde jedoch ein weiter Teil dessen, was junge Menschen bewegt, unberührt bleiben, wenn emotionale Zugänge im schulischen Raum keine Rolle spielen sollten. Das wiederum könne bei vielen jungen Menschen potenziell das Gefühl be- oder verstärken, nicht gesehen, ernstgenommen oder wahrgenommen zu werden. Die Verstetigung dieser Gefühle könne was wiederum als Push-Faktor zu einer Hinwendung in Richtung radikalisierender Ideologie wirken, etwa, wenn radikale Akteur:innen versuchen, junge Menschen über diese Gefühle für ihre Ideologien einzunehmen.
Herausforderungen in der pädagogischen Arbeit mit Emotionen
Das bewusste Einbeziehen von Emotionen in den schulischen Raum birgt aber auch Herausforderungen. Biografische Erfahrungen von Schüler:innen sind schulischem Personal möglicherweise gar nicht bekannt, und einige Themen können Retraumatisierungen auslösen. Beispielsweise kann eine Diskussion über Flucht/Migration emotional belastend für geflüchtete Schüler:innen sein. Bei der Behandlung des Holocausts sollte bedacht werden, dass jüdische Schüler:innen anwesend sein könnten, deren jüdische Identität nichtöffentlich ist.
Emotionen in der Arbeit mit dem Clearing-Verfahren
Besonders in Clearing-Verfahren, im Verlauf derer es um potenziell radikalisierte Jugendliche geht, ist die Arbeit mit Emotionen essenziell. Denn der Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung setzt emotionale Zugänge voraus.
Lehrkräfte und Schulsozialarbeiter:innen können als Vorbild dienen, indem sie ihre eigenen Emotionen reflektieren und diese gegenüber Schüler:innen benennen. Beispielsweise kann eine Lehrkraft – ob in einer Klassendiskussion oder in einem Einzelgespräch im Verlauf eines Clearing-Verfahrens – sagen: “Ich spüre Wut, wenn ich von Ungerechtigkeit höre. Wie geht es dir/euch dabei?” Das schafft eine offene Atmosphäre, die Schüler:innen zur Reflexion einlädt.
Emotionen unterscheiden sich schließlich dadurch von Fakten, dass sie nicht verhandelbar sind, sie sind weder richtig noch falsch. Insofern unterscheidet sich auch das Sprechen auf einer emotionalen Ebene fundamental von dem auf einer sachlichen – und ermöglicht neue Zugänge zum Gegenüber in einem Clearing-Verfahren.
Ohnehin erfordert die Arbeit mit einem sich (vermeintlich) radikalisierenden jungen Menschen eine vertrauensvolle Beziehung, für die auch emotionale Zugänge essenziell sind. Gerade wenn ein Clearing-Team gemeinsam mit einem jungen Menschen versucht, Erlebnisse, Bedürfnisse und Wünsche zu identifizieren, sollten und können solche Gespräche nicht auf einer rein sachlichen Ebene verharren.
Grenzen der Emotionalisierung: Beutelsbacher Konsens
Es ist wichtig, dass die emotionale Arbeit nicht zur Überwältigung von Schüler:innen führt. Der Beutelsbacher Konsens betont, dass politische Bildung nicht indoktrinieren, sondern ein selbständiges Urteil ermöglichen soll.
Schulen sollten sich daher nicht nur mit fruchtbaren Formen der Arbeit mit Emotionen auseinandersetzen, sondern auch analysieren, wie antidemokratische Akteur:innen Emotionen gezielt zur Manipulation nutzen. Ziel ist ein bewusster und reflektierter Zugang zu Emotionen.
Zusammenfassung: Praktische Handlungsempfehlungen für schulisches Personal:
- Emotionale Themen gezielt einbinden: Emotionen als Teil der Persönlichkeit von Schüler:innen anerkennen (auch im Verlauf eines Clearing-Verfahrens) und in den schulischen Raum integrieren.
- Sichere Reflexionsräume schaffen: Methoden wie den Emotionskochtopf nutzen, um schwierige Themen (auch im Verlauf eines Clearing-Verfahrens) emotional zu bearbeiten.
- Eigene Emotionen reflektieren: (Auch im Verlauf eines Clearing-Verfahrens) offen über eigene Emotionen sprechen, um Schüler:innen zur Reflexion zu ermutigen.
- Biografische Sensibilität entwickeln & Grenzen wahren: (Auch im Verlauf eines Clearing-Verfahrens) mögliche Retraumatisierungen durch sensible Unterrichtsgestaltung vermeiden. Die Balance zwischen gezielter Arbeit mit Emotionen und Überwältigung bewahren, wie es der Beutelsbacher Konsens fordert.
Durch eine bewusste Einbindung von Emotionen kann schulisches Personal einen wichtigen Beitrag zur Radikalisierungsprävention leisten und jungen Menschen helfen, konstruktiv mit Emotionen zu arbeiten.
[1] Bildungsbausteine. Emotionskochtopf: Gefühle zum Israel-Palästina-Konflikt sichtbar und besprechbar werden lassen. Online verfügbar unter: https://www.bildungsbausteine.org/fileadmin/assets/PDF/BildungsBausteine/zdzh_Emotionskochtopf_IPK.pdf (letzter Zugriff: 15.04.2025)