Am 09.04.25 veranstaltete das Projekt CleaRNetworking die bereits fünfte Ausgabe des Formats CleaRExchange. CleaRExchange verfolgt das Ziel, unser schulisches Personal mit verschiedenen lokalen und überregionalen außerschulischen Präventionsakteur:innen zu vernetzen, die ihre Arbeit und den Nutzen vorzustellen, den ihre Angebote für schulisches Personal haben können. Gast dieser Ausgabe war Oualid Attafi vom Programm „Wegweiser – Stark ohne islamistischen Extremismus“, einem Präventionsprogramm des Ministeriums des Innern des Landes NRW, das in vielen Städten in NRW vertreten ist.

Attafi begann mit einer kurzen Kontextualisierung. Das Programm Wegweiser, das im Kontext radikalisierter Ausreiser:innen aus Deutschland entstand, gibt es seit 2014. Wegweiser verfolgt drei Ziele:

  • Radikalisierung verhindern oder stoppen (Sekundärprävention)
  • Das Umfeld von Radikalisierten unterstützen (Schulen, Jugendamt, Behörden)
  • Informieren und sensibilisieren (Primärprävention)

Wegweiser arbeitet grundsätzlich phänomenspezifisch, richtet sein Angebot also an religiös begründeter Radikalisierung aus. Doch wurde 2021 darüber hinaus ein Pilotprojekt zum Phänomenbereich türkischem Ultranationalismus gestartet, in dem das Personal ebenfalls über Kompetenz verfügt.

Über Wegweiser Online haben Angehörige oder Menschen, die bei sich selbst eine Radikalisierung erkennen oder vermuten, die Möglichkeit, sich anonym niedrigschwellig beraten zu lassen (Mo-Fr 10-22 Uhr; Sa-So 14-20 Uhr).

Wegweiser arbeitet in ganz NRW mit einem Schwerpunkt auf dem Ruhrgebiet. Der Standort Aachen kooperiert mit einem ähnlich ausgerichteten belgischen Programm.

Der Arbeitsansatz von Wegweiser versucht ähnlich wie das Projekt CleaRNetworking, die „Themen hinter den Themen“ zu finden, die eine Radikalisierung begünstigen, etwa schulische oder familiäre Probleme. Attafi hat zahlreiche Fälle bearbeitet, in denen Inhalte aus Social Media zur absoluten Wahrheit erklärt wurden. Grundsätzlich versuche er, theologische Fragen beiseitezulassen und eine persönliche Ebene im Gespräch mit jungen Menschen zu finden, sie ernst zu nehmen, für sie da zu sein, Vertrauens- und Beziehungsarbeit zu leisten; nicht zu belehren, sondern als Vorbild bzw. großer Bruder zu fungieren. Authentizität habe sich für ihn nachhaltig bewährt. Zu den ersten Fragen, die junge Menschen ihm stellen würden, zählten immer wieder „Bist du Muslim?“, „Sprichst du arabisch?“ und „Woher kommst du?“. Über biografische Parallelen ließen sich teils erstaunliche Zugänge zu jungen Menschen finden.

Die Beratungsarbeit von Wegweiser erfolgt grundsätzlich freiwillig; niemand kann zur Beratung gezwungen werden. Nur in Ausnahmefällen arbeitet Wegweiser mit Klient:innen, die eine gerichtliche Auflage bekommen haben, die sie dazu verpflichtet, über einen gewissen Zeitraum mit dem Programm zu arbeiten.

Für das oben erwähnte dritte Ziel des Programms (Informieren und sensibilisieren) bietet Wegweiser auch Workshops für Multiplikator:innen (an Schulen) an, in denen beispielsweise Medienkompetenz geschult wird oder aktuelle Themen, beispielsweise der Umgang mit dem Nahostkonflikt, besprochen werden.

Nach diesem kurzen Input beantwortete Attafi für den Rest des Abends Fragen aus dem Plenum. Folgende Erkenntnisse wurden dabei gesammelt:

  • Wegweiser ist grundsätzlich auch offen für Anfragen aus anderen Bundesländern. Es handelt sich um ein Programm des Landes NRW. Aber auch bei Anfragen aus anderen Bundesländern kann das Personal entweder selbst helfen oder an entsprechende kompetente Stellen im jeweiligen Bundesland verweisen.
  • Ähnliches gilt für Anfragen zu Phänomenbereichen fernab der religiös begründeten Radikalisierung.
  • Die Erfahrungen und Expertisen des Personals von Wegweiser unterscheiden sich von Standort zu Standort. Sollte eine fruchtbare Zusammenarbeit mit dem für die eigene Schule zuständigen Standort sich nicht ergeben, so ist es grundsätzlich möglich, sich an einen anderen Standort zu wenden. Es ist schließlich wichtig, dass es auch menschlich zwischen Schule und Beratungsstelle stimmt.
  • Wegweiser kann auch im Verlauf eines Clearing-Verfahrens beratend oder intervenierend zur Seite stehen. Attafi hat zahlreiche Fälle erlebt, in denen schulisches Personal um Hilfe bat; etwa als ein Schüler wiederholt andere zurechtzuweisen versuchte. Wegweiser bietet in diesem Fall Gespräche mit dem schulischen Personal und bei Bedarf auch mit dem Schüler selbst oder dessen Eltern an. Wegweiser verfügt grundsätzlich über die Möglichkeit, intensiv (etwa im Verlauf eines Clearing-Verfahrens) mit einem jungen Menschen zu arbeiten.
  • Auch mit Konversionen hat Wegweiser Erfahrungen. Häufig führten Konversionen zum Islam zu Irritationen bei Angehörigen. Die Beratungsstelle arbeitet an vorhandenen (gegenseitigen) Ängsten, abwertenden Äußerungen oder Missionierungsversuchen. In dem Zusammenhang werden dann Konflikte etwa rund um den Konsum von Schweinefleisch, Alkohol oder das Führen nichtehelicher Beziehungen behandelt.
  • Wenngleich es keine offiziellen Kooperationen gibt, verfügen manche Wegweiser-Standorte über Kontakte zu örtlichen Moscheegemeinden, die ggf. im Verlauf eines Clearing-Verfahrens genutzt werden können.
  • Zu muslimischen Influencer:innen, deren Inhalte das Projekt CleaRNetworking für gefährlich hält, zählen: Abdelhamid, Sheikh Ibrahim, Generation Islam, Abulbaraa, Realität Islam, Muslim Interaktiv. Das sollte jedoch keinesfalls zu einer grundlegenden Verteufelung digitaler religiöser Inhalte führen. Vielmehr gibt es auch Akteur:innen, die religiöse Themen differenzierter behandeln. Zu diesen zählen wir etwa Yasmin Mogahed, Hamza Yusuf, Abdel Hakim Murad, Omar Suleiman, Nouman Ali Khan, Suhaib Webb oder Ingrid Mattson [1].

Auf die Frage eines Teilnehmenden nach einer fallübergreifenden langfristig ausgelegten Kooperation mit einer Schule sendete Attafi positive Signale. Das Projekt CleaRNetworking empfiehlt eben solche Kooperationen zwischen Schulen und außerschulischen Präventionsakteur:innen. So kann externe Expertise niedrigschwellig primärpräventiv und/oder anlassbezogen in Anspruch genommen werden.

 

[1] Während mit dem Nennen spezifischer Namen für uns als Projektteam immer auch gewisse Risiken einhergehen, wir nie alle Positionen einzelner Akteur:innen kennen (können) und diese Positionen sich im Laufe der Zeit auch verändern, halten wir es für wichtig, unserem schulischen Netzwerk nicht nur demokratiefeindliche, menschenverachtende oder undifferenzierte Akteur:innen zu nennen, sondern auch empfehlenswerte Alternativen.