Für den 21. Mai 2025 hatte CleaRNetworking sein schulisches Netzwerk zur siebten Ausgabe des Formats CleaRExchange eingeladen. Ziel von CleaRExchange ist es, schulisches Personal mit verschiedenen lokalen und überregionalen außerschulischen Präventionsakteur:innen zu vernetzen und deren Arbeit sowie den konkreten Nutzen für Schulen sichtbar zu machen.
Gast war diesmal NINA NRW, eine Beratungsstelle für Ausstiegs- und Distanzierungsberatung im Kontext Rechtsextremismus. Das Team von NINA besteht überwiegend aus Sozialarbeiter:innen und Erziehungswissenschaftler:innen. Seit 15 Jahren ist die zivilgesellschaftliche Beratungsstelle für das gesamte Land NRW zuständig. Finanziert wird NINA NRW überwiegend durch das Bundesprogramm Demokratie leben! sowie durch das Ministerium für Kultur und Wissenschaft NRW. Alle Angebote sind für Beratungsnehmende kostenlos.
NINA versteht unter Rechtsextremismus die Gesamtheit von Einstellungen, Verhaltensweisen und Aktionen, organisiert oder nicht, die von der Annahme einer rassisch oder ethnisch bedingten Ungleichheit der Menschen ausgehen. Beraten werden ganz unterschiedliche Zielgruppen: von Inhaftierten über Jugendliche mit rechten Affinitäten bis hin zu Menschen, die sich online durch entsprechende Kommentare bemerkbar machen, ohne ihre Einstellungen bereits in Taten umgesetzt zu haben. Das Team geht dabei von einem Grundsatz aus: Rechtsextreme Einstellungen entwickeln sich über kurz oder lang in Richtung Handeln – und genau deshalb sieht NINA auch schon dort Handlungsbedarf, wo bislang noch keine Straftaten vorliegen.
Zu den Merkmalen extrem rechter Weltanschauungen zählt NINA Vorstellungen von einer Ungleichwertigkeit von Menschen, einem Vorrang der Gemeinschaft vor dem Individuum, Nationalismus sowie NS-Verherrlichung, Holocaust-Leugnung und -Relativierung. Demokratie bedeutet für NINA nicht nur Wahlen, sondern auch den aktiven Schutz von Minderheiten.
Besonders herausfordernd in der aktuellen Arbeit ist die ständige Veränderung rechter Strategien, Begriffe und Erscheinungsbilder. Rechtsextreme Positionen sind längst nicht mehr klar abgrenzbar von Teilen der sogenannten gesellschaftlichen Mitte. Begriffe und Narrative überschneiden sich, und rassistische Vorstellungen finden sich gesamtgesellschaftlich verbreitet. Auch aktuelle Entwicklungen fordern die Präventionsarbeit heraus – beispielsweise die zunehmende Präsenz weiblicher Akteurinnen in der extrem rechten Szene oder professionell produzierte Videos der Identitären Bewegung, die gezielt junge Menschen ansprechen sollen. In diesen Formaten werden traditionelle Geschlechterbilder vermittelt, wobei Frauen oft in untergeordneter Rolle auftreten. Rechtsextremismus von Frauen werde häufig unterschätzt – ein gefährlicher Irrtum. Und auch die Vorstellung, Rechtsextremismus sei ein Phänomen strukturschwacher Milieus, lasse sich spätestens seit den Ereignissen von Sylt im Sommer 2024 nicht mehr aufrechterhalten.
NINA NRW erhält viele Anfragen von Schulen. Dabei geht es häufig um Situationen, in denen Angehörige bis dahin gar nicht bemerkt hatten, in welche Szenen ihre Kinder hineingeraten waren – beispielsweise, wenn ein 13- oder 14-Jähriger in Chats ankündigt, Moscheen angreifen zu wollen und die Polizei schließlich vor der Haustür steht.
Im Zentrum der Arbeit von NINA NRW steht die Ausstiegs- und Distanzierungsberatung. Diese richtet sich an Menschen, die bereit sind, sich mit ihren Einstellungen auseinanderzusetzen. Gesprächsbereitschaft wird dabei vorausgesetzt, denn ohne diese Grundlage kann die Arbeit nicht gelingen. Die Beratenden holen die Menschen dort ab, wo sie gerade stehen, und bieten konkrete Unterstützung: bei der Suche nach therapeutischen Angeboten, bei Suchtproblemen oder beim Ankommen in einem neuen Umfeld, etwa nach einem Umzug.
In einigen Fällen führt NINA NRW auch sogenannte Auflagenberatung durch – hier handelt es sich um Personen, die aufgrund gerichtlicher Auflagen an der Beratung teilnehmen müssen und daher zunächst nicht freiwillig erscheinen.
Ein weiterer wichtiger Baustein ist die Angehörigen- und Umfeldberatung. Hier richtet sich NINA NRW gezielt an Eltern, Angehörige, Nachbar:innen, Freund:innen, Fachkräfte und vor allem eben auch schulisches Personal. Ziel ist es, gemeinsam herauszufinden, wie man in schwierigen Situationen handlungsfähig bleibt. Manchmal reichen wenige Gespräche aus, um Handlungssicherheit zu gewinnen, in anderen Fällen entwickelt sich eine längerfristige psychosoziale Beratung. Typische Fragestellungen dabei lauten: „Wie gehe ich mit Schüler:in X um?“ oder „Wie kann ich in meinem schulischen Alltag reagieren, ohne zu eskalieren?“ Je nach Situation reichen ein bis drei Gespräche, manchmal braucht es aber auch einen längeren Prozess.
NINA NRW ist Teil eines übergreifenden Beratungsnetzwerks, das drei zentrale Säulen umfasst: die beiden Opferberatungen (OBR und BackUp), die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR NRW – vergleichbare Angebote existieren in allen Bundesländern) sowie die Ausstiegs- und Distanzierungsberatung, in NRW vertreten durch NINA. Diese Stellen arbeiten eng zusammen und verweisen gegenseitig aufeinander. Für schulisches Personal bedeutet das: Im Zweifel einfach erst einmal melden. Es wird dann an die passende Stelle weitervermittelt. Das Netzwerk ist eng abgestimmt und zuverlässig.
Im Austausch mit den Teilnehmenden wurde auch ein aktueller Fall aus einer Schule diskutiert: Ein Schüler trug szenetypische rechtsextreme Kleidung. Als ein Kollege das Gespräch suchte, folgte prompt eine Beschwerde – offenbar nicht aus eigener Initiative des Schülers, sondern gesteuert von Akteur:innen im Hintergrund. Der Umgang damit stellte das schulische Personal vor große Herausforderungen. Die Anwesenden ermutigten den Fallgeber, sich nicht einschüchtern zu lassen. Extrem rechte Akteur:innen nutzen den Begriff der „Neutralität“, um schulisches Personal unter Druck zu setzen. Doch Neutralität bezieht sich auf Parteipolitik, nicht auf menschenfeindliche Ideologien. Schulisches Personal ist dem Grundgesetz verpflichtet, keinem diffusen Neutralitätsbegriff. Extrem rechte Gruppierungen betreiben gezielt Meldeportale, um Lehrer:innen einzuschüchtern.
Im Plenum wurden zahlreiche konkrete Handlungsimpulse gesammelt: Wichtig sei es, den Kontakt zu dem betroffenen Schüler aufrechtzuerhalten und auch das Umfeld – also die Mitschüler:innen – in den Blick zu nehmen. Unter Umständen könne es auch notwendig sein, den Schüler selbst zu schützen, sollte bekannt werden, welche Ansichten er vertritt. Gerade Grenzsetzungen von Seiten der Peers können für Betroffene der erste Anstoß zur Reflexion sein. Der Vertreter von NINA berichtete, dass Menschen häufig gerade dann in Beratung kämen, wenn ihnen Grenzen gesetzt würden – etwa durch Konfrontationen in der Schule, durch familiären Druck oder durch spürbare Konsequenzen wie den Verlust eines Arbeitsplatzes.
Das Projektteam von CleaRNetworking empfiehlt für solche Fälle dringend, ein schulisches Clearing-Team einzuberufen. Dies ermöglicht eine strukturierte Bearbeitung im Mehr-Augen-Prinzip, bringt unterschiedliche Perspektiven zusammen und sorgt für fachliche Absicherung.
Weitere Tipps aus der Diskussion waren: Mensch und Einstellung klar zu trennen – Respekt gegenüber der Person, klare Ablehnung der menschenfeindlichen Haltung. Zuhören, ohne zuzustimmen. Eindeutige Haltungen vertreten, aber respektvoll bleiben. Verlässlichkeit als Bezugsperson zeigen. Anknüpfungspunkte in der Biografie finden. Stärken betonen statt nur Defizite. Gespräche auf Augenhöhe führen, ohne moralisierend zu wirken. Provokationen nicht reflexhaft begegnen, lieber Fragen stellen als Vorwürfe machen. Erst Beziehung aufbauen, dann Haltung hinterfragen. Auch Alltagsanlässe im Unterricht oder in Pausen können genutzt werden, um ins Gespräch zu kommen. Wichtig ist: Verhalten kritisieren, nicht den Menschen. Multiprofessionelle Zusammenarbeit mit Schulsozialarbeit und Kollegium kann hier enorm helfen. Geduld und Vertrauen sind zentrale Elemente erfolgreicher pädagogischer Arbeit in diesem Bereich.
Am Ende steht: Haltung zeigen, Grenzen setzen, Betroffene schützen. Austausch suchen. Unterstützung holen. Gespräche führen. Impulse setzen.