Ein gutgefüllter Methodenkoffer, der sich auf die Vielgestaltigkeit von Radikalisierungsverläufen anwenden lässt, ist für schulisches Personal unerlässlich, um das Clearingverfahren kompetent durchführen zu können. Das Modul 6 im CleaRNetworking-Jahrgang 2024 fand von 06. bis 07. November im Hotel Plaza in der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover statt. Im Mittelpunkt stand der Ansatz der systemischen Beratung. Dabei handelt es sich um einen Oberbegriff für verschiedene Beratungsformate, die den jeweiligen Kontext der Beratungsnehmer:innen als Ausgangspunkt und Grundlage der Beratung setzen, z.B. Individuen, Gruppen, Organisationen, und dabei eine ganzheitliche Perspektive annehmen. Damit geraten die sozialen Systeme in denen sich die Beratungsnehmer:innen bewegen, in den Mittelpunkt. Das Ziel des Moduls bestand darin, den Teilnehmenden die methodischen Grundlagen sowie die mit diesem Beratungsansatz verbundene Beratungshaltung zu vermitteln und diese mit Blick auf die sieben Schritte des Clearingverfahrens zu erproben.

Ein dickes (System)Brett, das die Teilnehmer:innen zu bohren hatten. Als Referent bzw. Reiseführer durch die systemische Beratungslandschaft fungierte Philip Mohamed Al-Khazan von der Beratungsstelle Legato für systemische Ausstiegsberatung und Fach- und Beratungsstelle für religiös begründete Radikalisierung [1]. Dort ist der studierte Islamwissenschaftler, Soziologe und Religionswissenschaftler im Aufgabenfeld Prävention und Intervention bei Fällen von religiös begründeter Radikalisierung tätig.

Das Modul begann wie gewohnt mit einer Einführung durch unseren Projektleiter Junus el-Naggar. Nach einigen einführenden Worten war Quiztime angesagt. El-Naggar hatte verschiedene inhaltliche Fragen zu früheren Fortbildungsmodulen vorbereitet, etwa zum Jugendschutzgesetz oder der Alarm-Alert-Methode, die die Teilnehmenden gemeinsam beantworten sollten, um eine Brücke zwischen den Fortbildungsmodulen fünf und sechs zu schlagen. Anschließend bat er die Teilnehmenden darum, sich entsprechend ihres eigenen Wissensstandes zur systemischen Beratung im Raum zu positionieren. Der Großteil schrieb sich selbst eher geringe Kenntnisse dieses Beratungsansatzes zu. Das sollte sich im Lauf der nächsten eineinhalb Tage ändern.

Von Haltung, Rollen und Konflikten

Nach der Mittagspause begann der inhaltliche Teil der Fortbildung. „Worin seht ihr eure Herausforderung in der Beratung?“, fragte Philip Mohamed Al-Khazan die Teilnehmenden gleich zu Beginn in einer Kombination aus Eisbrecherfrage und Bedarfserhebung. Herausforderungen gab es viele. Eine Auswahl:

  • Rollenkonflikte in der Doppelrolle Lehrkraft/Berater:in;
  • Umgang mit nichtintendierten Nebenfolgen von Präventionsarbeit;
  • Umgang mit Eingriffen gegen den Willen der Klient:innen;
  • Beratungen in Zwangskontexten;
  • Datenschutz kontra Präventionsauftrag;
  • Kommunikationsbarrieren durch Klient:innen;
  • Fehlende (Sozialarbeits)Stellen, fehlende Strukturen;

Zwar ließen sich nicht alle der genannten Herausforderungen im Rahmen der Fortbildung bearbeiten, so der Referent. Viele davon ließen sich jedoch mit einer systemischen Haltung besser händeln. Deren Grundlagen wolle er den Teilnehmenden während der Fortbildung vermitteln. Eine solche Haltung liege auch dem Beratungsansatz von Legato zugrunde. Die Prämisse sei immer Rollenklarheit auf allen Seiten zu schaffen. Etwa durch Absprachen und/oder (implizite) Verträge zwischen Berater:innen und Klient:innen. Transparenz sei dafür das wichtigste Gut. Diese Prämissen können wir aus Sicht des CleaRNetworkings voll und ganz unterschreiben. Für das ganze Clearingverfahren und besonders die Schritte vier bis sieben sind Rollenklarheit und Transparenz zwei zentrale Fixsterne für die Güte des Verfahrens.

Vom Kopf auf die Füße und zurück

Anschließend lud Al-Khazan die Teilnehmenden zu einem Perspektivenwechsel mit der sogenannten Kopfstandmethode. In Vierergruppen aufgeteilt, sollten die Teilnehmenden zwei Szenarien ausarbeiten:

  1. Ideale Bedingungen an einer Schule schaffen, um so viel Radikalisierung jeglicher Couleur wie möglich zu erzeugen.
  2. Ideale Bedingungen an einer Schule schaffen, um so wenig Radikalisierung jeglicher Couleur wie möglich zu erzeugen.

Alle finanziellen und personellen Ressourcen der Schule, der Rückhalt von Schüler:innen, Eltern aus Politik und allen Teilen der Gesellschaft stünden ihnen für das jeweilige Szenario zur Verfügung, so der Referent. Diese Methode sei durch ihre Polarität gut geeignet, um Klient:innen zu irritieren und diese zu einem Perspektivenwechsel anzuleiten. Im zweiten Teil der Übung wurden die erarbeiteten Szenarien einem Realitätsabgleich unterzogen.

Ideale Bedingungen für so viel Radikalisierung wie möglich sahen die Arbeitsgruppen in einer Indoktrination der Schüler:innen unter ein exklusives und exkludierendes Wertesystem. Dieses arbeite mit der Förderung von negativen Vor- und Feindbildern und fördere Konflikte zwischen der Eigengruppe der Schüler:innen und allen anderen Fremdgruppen. Zudem würden Hierarchien und Konkurrenzdruck gefördert. Für Abweichungen und Individualität sei an dieser Schule kein Platz.

„Wie sieht es in eurer schulischen Realität aus?“, fragte Al-Khazan die Teilnehmenden. Viele der radikalisierungsfördernden Aspekte ließen sich im schulischen Alltag wiederfinden, so das Plenum, z.B. Machtmissbrauch, fehlende Konfliktklärung, hierarchische Schulstrukturen oder das Ignorieren multipler Zugehörigkeiten und Identitäten.

Und wie stand es um die Gruppen, die so wenig Radikalisierung wie möglich in ihren Schulen schaffen wollten? Dafür müsse Schule als soziales System und in allen Subsystemen anstreben die Bedarfe aller Systemmitglieder bestmöglich zu erfüllen. Dies fange etwa schon bei der Gestaltung der Räume und dem Frühstück an, ziehe sich über (Schul)Gemeinschaft und Individualität fördernde Projekte bis hin zur zivilen Austragung und Klärung von Konflikten sowie dem Einbezug und der demokratischen Mitbestimmung aller schulischen Anspruchsgruppen.

Der Realitätsabgleich zeigte, dass diese Ansprüche mit dem heutigen Schulsystem in Deutschland nur partiell zu erfüllen sind. Eine Schule ohne jegliche radikalisierungsfördernden Aspekte sei eine Wunschvorstellung, so einer der Teilnehmenden. So könne Schule z.B. nicht verhindern, dass außerhalb der Schule radikalisierungsfördernde Erlebnisse, Ideen etc. auf das – metaphorisch gesprochen – biographische Fließband von Schüler:innen gelange. Theoretisch seien Ideen da, um Schule für alle ideal zu gestalten, gab sich eine andere Teilnehmerin selbstkritisch, es fehle aber wie so oft an Geld. Die Unterfinanzierung des Bildungswesens zeigte sich bei dieser Übung wieder einmal als Sollbruchstelle.

Systemische Haltung

Eine systemische Haltung, wie sie auch von Legato vertreten wird, zeichne sich laut Al-Khazan durch folgende Prämissen aus:

  • Wertschätzung (gegenüber den Klient:innen)
  • Ressourcenorientierung
  • Prozessorientierung
  • Neugier (auf die Klient:innen)
  • innen sind Expert:innen ihrer eigenen Lebenswelt(en)
  • Hilfe zur Selbsthilfe

Um diese Prämissen umzusetzen sei zu Beginn jedes Beratungsprozesses eine Zielklärung unabdingbar, so der Referent. Welche Ziele sollen in der Beratung erreicht werden? Wer ist Beratungsnehmer:in?  Ggf. müssen Ziele im laufenden Beratungsprozess auch angepasst werden – analog zum sechsten Schritt des Clearingverfahrens „Evaluation der Maßnahmen“. Für die Zielklärung sei besonders der Einstieg in die Beratung wichtig, bzw. das Erstgespräch. Bereits mit den Einstiegsfragen könnten Berater:innen die Grundlagen für Arbeits- und Vertrauensbeziehungen legen und die individuellen Grenzen der Klient:innen, aber auch die eigenen ausloten und festlegen.

Wie komplex die Umsetzung einer systemischen Haltung im Beratungsprozess sein kann, verdeutlichte der Referent anschließend durch ein Rollenspiel. Darin spielten er und ein:e Teilnehmer:in ein fiktives, mitunter konflikthaftes, aber auch typisches Erstklient:innengespräch nach. Darin ging es um einen Schüler, der aufgrund eines nicht genauer beschriebenen Vorfalles, zu einem Gespräch mit dem/der Clearingbeauftragten gebeten wurde. In der anschließenden Reflexionsrunde diskutierten die Teilnehmer:innen mehrere Herausforderungen von Erstgesprächen:

  • Wie gelingt der Einstieg, besonders in Zwangskontexten?
  • Wie präsentiere ich mich als Berater:in?
  • Wie sieht der Gesprächsplan der Schüler:innen aus?
  • Wie lässt sich Schweigen aushalten?

Authentisch und interessiert sein, die eigene Biographie in die Waagschale werfen: Das seien gute Ansatzpunkte für den Beziehungsaufbau, nicht nur, im Erstgespräch, so der Referent. Klar sei aber auch: Beziehungsaufbau brauche Zeit, besonders dann, wenn die Klient:innen nicht freiwillig in die Beratung kämen. Auch und besonders in diesem Fall sei wichtig: Die Auftraggeber:innen seien nicht, oder zumindest nicht vordergründig, die Personen, die den/die Schüler:innen in die Beratung schickten, sondern diese selbst. Deren Probleme gelte es zu bearbeiten und zu lösen. Aus Sicht des Clearingverfahrens gilt es hier anzumerken, dass die organisationale Logik des Schulsystems dennoch weiterhin als Hintergrundfolie des Beratungsprozesses mitläuft. Da die Beratung aber im Kontext des sozialen Systems Schule abläuft, lässt sie sich zwar ausblenden, aber nie aufheben. Dies gilt es – Stichwort Rollenkonflikte – im Rahmen von Clearingverfahren stets zu beachten [2].

Das Genogramm als erkundende Methode in der systemischen Beratung

Die Genogramm-Methode [3] sei ein guter Anknüpfungspunkt, um nach dem Einstiegsgespräch mehr über die Klient:innen und ihre individuellen Biographien herauszufinden, so der Referent. Dabei handelt es sich um eine Darstellungsform verwandtschaftlicher Zusammenhänge, die vor allem in der Systemischen Familientherapie verwendet wird, um Familienbeziehungen, darzustellen und zu evaluieren. Sie ähnelt der Systemaufstellung und geht inhaltlich weit über einen Familienstammbaum hinaus. Ausgehend von z.B. der (Groß)Elterngeneration, werden die familiären Beziehungen und prägenden Erlebnisse einer Person in einer Verlaufsmatrix visualisiert, z.B. in einer Kombination aus Stammbaum und Zeitstrahl.

Die Teilnehmer:innen konnten die Methode anschließend an Al-Khazans eigener Biographie ausprobieren. Dabei zeigte sich, dass die visuelle Darstellung von Biographien durchaus fordernd und komplex sein kann, vor allem, wenn Biograph:innen in ihrer Erzählung springen und/oder in der Rückschau Informationen zu vorherigen Lebensereignissen teilen, die sie zuvor ausgelassen/nicht erinnert hatten.

Fallarbeit – Wie biographische Ereignisse lähmen können

Lebensereignisse könnten Menschen aber auch lähmen, betonte der Referent in der Überleitung zu einer weiteren Gruppenübung. Darin ging es um einen Kunstlehrer, der sich selbst eine wertschätzende und öffnende Einstellung gegenüber seinen Schüler:innen zuschrieb. Bis ein Schüler eines Tages den Arbeitsauftrag verweigerte im Kunstunterricht Lebewesen zu zeichnen. Dies verbiete ihm seine Religion. Der Lehrer, berichtete Al-Khazan reagierte sichtlich angefasst und gab dem Schüler eine glatte Sechs. Anschließend sei er mit sich selbst lange ins Gericht gegangen, um zu ergründen, woher diese heftige Reaktion gekommen sei. Was sei hier eigentlich passiert, fragte der Referent die Teilnehmer:innen und bat sie, in Arbeitsgruppen aufgeteilt, Hypothesen zur Deutung dieser vertrackten Situation zu entwickeln.

Ziel der Übung war es, die Teilnehmenden die Notwendigkeit einer religionsseniblen Haltung gegenüber Schüler:innen zu vermitteln. Denn der Schüler hätte gegenüber dem fiktiven Lehrer ein durchaus vertrauensvolles Verhältnis gehabt. Nach der Sechs sei dieses jedoch erheblich gestört gewesen. Al-Khazan empfahl vorschnelle Zuschreibungen und Essentialisierungen zu unterlassen und stattdessen kreative Lösungen zu suchen, um religiöse und schulische Logiken zusammenzubringen. Im Beispielfall änderte der Lehrer die Arbeitsaufgabe etwa derart ab, dass der Schüler eine Kalligraphie zeichnen sollte und so die Übung am Ende doch mit einer guten Note bestand.

Über diese Übung gelangten die Teilnehmer:innen über Umwege zu der Frage nach der biographischen Funktionalität von Religion. Diese Frage sei gut geeignet, um herauszufinden, was Religion für Menschen, hier Schüler:innen leiste. Die individuelle Funktion von Religion ließe sich dabei über systemische Fragen herausfinden, so der Referent. Diese wurden später in der Fortbildung behandelt. Wichtig sei an dieser Stelle nur, dass die Frage nach der Funktionalität die Berater:innen entlaste, betonte der Referent. Die Teilnehmer:innen müssten keine Expert:innen in allen Religionen werden. Es gehe vielmehr darum in der Beratung herauszuarbeiten für welche(s) Problem(e) eine Performance als religiöses Subjekt eigentlich die Lösung(en) sei(en) und dieses Wissen anschließend produktiv für die eigene Beratungsarbeit zu nutzen.

Musterkonzepte für schulische Präventionsarbeit

Zum Abschluss des ersten Fortbildungstages stellte das CleaRNetworking-Team den Entwurf eines Musterkonzeptes für schulische Präventionsarbeit vor. Dieses sei ein „living document“, so el-Naggar und Sponick, das jede Schule für sich individuell anpassen könne. Das Konzept behandelt mehrere Aspekte, die schulische Präventionsakteur:innen in ihrer Arbeit anleiten, u.a.:

  • Die Grundsätze der Präventionsarbeit
  • Die Haltung in der Präventionsarbeit;
  • Die Definition wichtiger Begriffe (z.B. Radikalisierung, Prävention)
  • Die Zusammensetzung des Clearingteams
  • Die sieben Schritte des Clearingverfahrens

Nach der Kurzvorstellung schickte das Team die Teilnehmenden in die letzte Arbeitsphase des Tages. In ihren Schulteams und nach Bundesland geordnet, ging es darum, den Konzeptentwurf zu evaluieren. Was passt, was fehlt, was ist unscharf?

In der Gesamtschau kam das Musterkonzept bei den Teilnehmer:innen gut an. Ein solches Konzept sei ein guter Ansatz, um „etwas in der Hand zu haben“, das man auch dem Kollegium präsentieren könne. Viele wünschten sich jedoch eine kürzere Version in einfacherer Sprache, weniger bildungssprachlich formuliert, die man auch auf die Homepage stellen könne und weniger mit den Themen Radikalisierung/Prävention vertrauten Gruppen an der Schule (z.B. Eltern, Schüler:innen) an die Hand geben könne. Inhaltlich führte besonders der Absatz zu Religionssensibilität zu einigen Diskussionen. Hier zeigte sich, dass eine solche Haltung die Schulen im CleaRNetworking je nach Bundesland vor verschiedene Herausforderungen stellt, etwa hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung.

Systemische Fragetechniken und Methoden in der Umsetzung

Der zweite Tag des sechsten Fortbildungsmoduls stand ganz im Zeichen der systemischen Fragetechniken. Diese seien keinesfalls mechanisch zu verstehen, betonte der Referent. Damit meinte er, dass Beratende nicht davon ausgehen sollten, dass die Fragen wie ein Werkzeug zu verwenden, das immer dieselbe Auswirkung habe. Getreu dem Sprichwort: Wer einen Hammer hat, sieht überall Nägel. Vielmehr gehe es darum verschiedene Fragetechniken und -typen für verschiedene Situationen im individuellen Methodenkoffer parat zu haben, die sich je nach Situation herausholen ließen. Es gelte also immer zu überlegen: Welche Frage benötige ich gerade als Problemlösung in dieser spezifischen Situation?

Die sogenannten Funktionalitätsfragen, etwa die zirkulären Fragen seien z.B. geeignet, um herauszufinden, welche Funktion eine beliebige soziale Performance für die Klient:innen habe. Dies lasse sich z.B. durch Reflexions-, Klassifikations-, Prozent- oder Einstimmungsfragen herausfinden. Unterstützt etwa, durch visualisierende Verfahren aus der Biographiearbeit, wie z.B. den Lebensstrahl. Ziel ist es, die Teilnehmenden ‚ins Reden‘ zu bringen, um durch die Erzählung die biographische Funktion herauszuarbeiten. In Bezug auf das Clearingverfahren wäre hier z.B. an die Hinwendung zu einer radikalen religiösen oder politischen Ideologie zu denken.

Als weitere Methode stellte Al-Khazan das sogenannte Systembrett [4] vor. Diese Methode ähnelt der Systemaufstellung und dient der Visualisierungen sozialer Beziehungen der Klient:innen. Welche Personen stehen ihr nahe, welche fern? Welchen Gruppen gehören diese Personen an? Daraus lassen sich Konflikt- und Unterstützungspotenziale herausarbeiten. Wichtig sei, dass die Klient:innen das Brett alleine aufstellen, aber auch abräumen würden, so der Referent. Die Eignung des Systembrettes für die schulische Radikalisierungsprävention wurde dabei durchaus ambivalent betrachtet. Aus Sicht einiger Teilnehmender gehe diese Methode in eine deutliche therapeutische Richtung, die mit einer hohen Verantwortung an die Klient:innen, aber auch an sich selbst einhergehe. Schulisches Personal sei für diese Zwecke in der Regel aber gar nicht ausgebildet. Aus Sicht des Clearingverfahrens ist vielleicht die VIP-Karte [5] besser geeignet, um Präventionsakteur:innen Informationen über Konflikte und Unterstützungspotenziale ihrer Klient:innen zu vermitteln.

Im Zentrum jedes systemischen Beratungsprozesses stünde die Frage nach Auftragsklärung, betonte Referent Al-Khazan zum Abschluss des Moduls. Davon würden alle weiteren Schritte ausgehen. Gegen den individuellen Auftrag der Klient:innen anzuarbeiten – damit sei ein Beratungsprozess unweigerlich zum Scheitern verurteilt. Allen Präventionsakteur:innen, die sich ausführlicher in die systemische Beratung in der Radikalisierungsprävention einlesen und -arbeiten wollten, empfahl er die kürzlich erschienene Monographie von Vera Dittmar [6] zu diesem Thema. Ein Fortbildungsmodul wie dieses könne eine Ausbildung als systemische:r Berater:in natürlich nicht ersetzen, aber dafür sensibilisieren, dass Radikalisierungsprozesse komplex sind und wie sich diese in Beratungsprozessen angemessen bearbeiten lässt.

Abschluss: „Be curious, not judgemental“

In der Abschlussrunde stellte das CleaRNetworking-Team den Teilnehmenden erneut die Frage nach ihrer Vertrautheit und dem Kenntnisstand mit dem systemischen Beratungsansatz. Dieses Mal stellten sich deutlich mehr Teilnehmende in die Mitte des Raumes. Das Fortbildungsmodul machte deutlich, dass schulische Präventionsakteur:innen keine Expert:innen für alle Phänomenbereiche der Radikalisierungsprävention sein müssen. Geboten ist vielmehr eine Haltung, die der us-amerikanische Dichter und Essayist einmal mit den Worten ausdrückte, „be curious, not judgemental“. Eine solche neugierig-offene Grundhaltung, eint die systemische Beratung und den Ansatz, den wir im CleaRNetworking vertreten [7]. Eine solche Haltung schützt aus unserer Sicht nicht nur vor problematischen Essentialisierungen, sondern stellt für Lehrkräfte eine bedeutsame Ressource für den Vertrauensaufbau mit Schüler:innen im Clearingverfahren dar.

Literatur:

[1] Beratungsstelle Legato (o.J.): Beratungsstelle Legato für systemische Ausstiegsberatung und Fach- und Beratungsstelle für religiös begründete Radikalisierun. Online verfügbar unter: https://legato-hamburg.de/

[2] Kieserling, André (1999): Kommunikation unter Anwesenden. Studien über Interaktionssysteme. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

[3] Beushausen, Jürgen (2012): Genogramm- und Netzwerkanalyse. Die Visualisierung familiärer und sozialer Strukturen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Online verfügbar unter: http://www.vr-elibrary.de/isbn/9783525401835.

[4] Wikipedia (o.J.): Systembrett. Online verfügbar unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Systembrett

[5] Herwig-Lempp, Johannes (2007): Ressourcen im Umfeld: Die VIP-Karte. In: Brigitta Michel-Schwartze (Hg.): Methodenbuch Soziale Arbeit. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 207–226.

[6] Dittmar, Vera (2023): Systemische Beratung in der Extremismusprävention. Theorie, Praxis und Methoden. Stuttgart: Kohlhammer Verlag. Online verfügbar unter: https://ebookcentral.proquest.com/lib/kxp/detail.action?docID=7390662.

[7] Kiefer, Lisa; Kiefer, Michael; Wurzel, Hanne; Stuppert, Wolfgang; Sträter, Till (2019): CleaR – Clearing Verfahren gegen Radikalisierung. Praktische Handeichung zur Radikalisierungsprävention im schulischen Kontext. Hg. v. Aktion Gemeinwesen und Beratung e.V. Online verfügbar unter: https://www.clearing-schule.de/veroeffentlichung-der-handreichung-zum-modellprojekt/, zuletzt geprüft am 11.10.2023.