Am 10.05.23 und 11.05.23 kamen die Teilnehmenden der diesjährigen CleaRNetworking-Weiterbildung in Essen zum zweiten Modul zusammen. Das Modul wurde geleitet von der freiberuflichen Referentin für rassismuskritische Bildung und Empowerment Sinem Eker. Ziel dieses Moduls war es, die Reflexion eigener Privilegien und der eigenen Position als schulische:r Akteur:in anzuregen, die Grenzen von Andersartigkeit, Normalität und Radikalität zu hinterfragen und Machtstrukturen im Kosmos Schule zu diskutieren.
Die Reflexion über eigene Privilegien war immer wieder unangenehm – und das sollte sie auch sein. So wurde vielen Anwesenden vor Augen geführt, was es bedeutet, nicht auf barrierefreie Zugänge angewiesen zu sein oder einen Namen zu tragen, der immer korrekt ausgesprochen wird. Vor allem Teilnehmende, die sich als männlich verstehen, wurde vor Augen geführt, dass Frauen Aufgaben möglicherweise nicht zugetraut werden, die ihnen selbstverständlich zugetraut werden. Auch die Erfahrung, nach der eigenen Herkunft gefragt zu werden und sich mit der Antwort „deutsch“ nicht zufriedenzugeben; nicht wählen zu dürfen; sich nachts auf der Straße nicht sicher zu fühlen, Schwierigkeiten im Zahlen der eigenen Miete zu haben, ist nur einem Teil der Teilnehmenden vertraut.
Grundlegend wurde auf die Begriffe des Weißseins, des Schwarzseins, der PoC eingegangen und es wurde klar, dass es sich dabei weder um Fragen von Mehr- oder Minderheit noch von Hautfarbe handelt. Auch das Konzept der Macht wurde aufgegriffen und es wurde auf Abhängigkeitsverhältnisse im Kontext Schule verwiesen, etwa die Benotung durch Lehrkräfte. Rassismus wurde entworfen als Verhältnis, das naturalisiert, homogenisiert, polarisiert und hierarchisiert. Dieses Verhältnis verläuft auch in der Institution Schule. Rassismus richtet sich gegen viele verschiedene als solche konstruierte Gruppen.
Thematisiert wurden auch unterschiedliche Wertungen verschiedener Sprachen im Kontext Schule sowie die Geschichte des Kolonialismus. Auch auf den Stress, den von Rassismus negativ betroffene Personen empfinden, die kontinuierliche Angst vor rassistischer Diskriminierung, wurde eingegangen.
Im Rahmen eines Speeddatings tauschten sich die Teilnehmenden untereinander darüber aus, welche Privilegien sie auf sich beziehen würden; etwa nicht darüber nachdenken zu müssen, wieso man gerade von der Polizei kontrolliert wird; ungehindert reisen zu können oder die eigene Küche versiffen zu lassen, ohne rassistische Klischees hervorzurufen.
Behandelt wurden auch mehrere Fälle, die sich etwa um die Frage nach dem Umgang mit nicht-christlichen Feiertagen drehten, um die Nutzung des N-Worts oder um das gegeneinander Ausspielen von Nichtheterosexualität und Muslimischsein.
Diskussionen kamen darüber auf, inwiefern Rassismus mit Intelligenz zu tun hat; inwiefern es Rassismus gegen weiße Menschen geben kann; inwiefern Rassismus von negativ betroffenen als inflationäre Ausrede genutzt wird und wie damit umzugehen ist; wer sich wieso worein integrieren muss; inwiefern Schule gemeinsame Werte benötigt; inwiefern es sich bei Frauenfeindlichkeit, fehlender Gesetzestreue oder Antisemitismus um „importierte“ Phänomene handelt.
Eine Teilnehmerin äußerte konkrete Konsequenzen, die sie aus der Veranstaltung zog, nämlich etwa die korrekte Aussprache der Namen von Schüler:innen zu erlernen, statt diese Personen vor der Klassengruppe danach zu fragen und so Ausgrenzungserfahrungen zu provozieren. Eine weitere Teilnehmerin erzählte, ihr sei die Begrenztheit schulischer Curricula klarer geworden und sie wolle sich zukünftig mehr mit nichtwestlichen Wissenschaften beschäftigen. Ein Teilnehmer merkte selbstkritisch an, die Machtposition, in der sich Lehrkräfte befinden, führe dazu, sich Faulheit leisten zu können und sich auf Stereotype zu beziehen. Ob der schwierige, langwierige und anstrengende Prozess der Selbstreflexion an diesen beiden Tagen angestoßen wurde, wird sich erst in den nächsten Monaten zeigen.