Am 14.01.2024 fand in Riedstadt-Crumstadt ein Vortrags- und Diskussionsabend mit dem Verein „Combatants for Peace“ (CFP) statt. Eingeladen hatte das Dekanat Groß-Gerau-Rüsselsheim in Kooperation mit der evangelischen Riedgemeinde. Mit dabei war auch Sören Sponick aus dem CleaR-Networking-Team. CFP ist eine von Israelis und Palästinenser:innen gemeinsam gegründete und international tätige Nichtregierungsorganisation (NGO), die sich mit pädagogischen Projekten, gemeinsamen Gedenkveranstaltungen und gewaltlosem Widerstand für eine friedliche Lösung des Nahostkonfliktes einsetzt. Ein Konflikt, dessen aktuelle Entwicklungen deutliche Auswirkungen auf die schulische Arbeit haben, wie die Diskussionen des digitalen CleaRNetworking-Netzwerktreffens im vergangenen Oktober deutlich zeigten [1].
Combatants for Peace kommt auch an Schulen und diskutieren gemeinsam mit Schüler:innen [2]. Sie können über ihre Webseite [3] (ganz nach unten scrollen zum Kontaktformular) kontaktiert werden.
Auch wenn eine friedliche Beilegung des Konfliktes derzeit weit entfernt scheine, wolle man gemeinsam mit den Gästen Osama Eliwat und Rotem Livin im Gespräch den Raum dafür ausloten, so die Veranstalter:innen. Der „Gesprächsabend für den Frieden“ begann mit den Lebensgeschichten der beiden Gäste aus Palästina und Israel. Sie wollten die Geschichte ihrer Transformation erzählen, erklärte Osama Eliwat, wie sie einander „von den anderen zu Freund:innen und Familien“ geworden seien, um zu zeigen, Friede und ein gemeinsames Leben miteinander seien möglich.
Der Transformationsprozess von „den Anderen“ zu „Ich und Du“, wie man in Anlehnung an Martin Buber [4] sagen könnte, stand dabei im Mittelpunkt der Lebensgeschichten der Gäste. Sie seien beide mit der ständigen Ermahnung durch ihre Umwelt, die Schule sowie Öffentlichkeit und Politik aufgewachsen, dass die jeweils andere Gruppe „die Anderen“ seien, vor denen man Angst haben und sich schützen müsse. Jüd:innen habe er als Kind und Jugendlicher nur als Soldat:innen kennengelernt, vor denen man sich in acht nehmen müsse, so Eliwat.
Auch Livin habe bis zu seinem Dienst im israelischen Militär Palästinenser:innen lediglich als Angestellte seiner Familie sowie – medial vermittelt – als Terrorist:innen kennengelernt. Persönliche Begegnungen oder gar Freundschaften habe es keine gegeben, betonten die beiden Gäste. Auch über die sogenannte Nakba, die hunderttausendfache Vertreibung von Palästinenser:innen infolge der israelischen Staatsgründung 1948 habe man nicht sprechen dürfen. Im Jahr 2008 habe das israelische Ministerium für Kultur und Sport sogar verboten, das Wort in israelischen Schulbüchern zu verwenden.
Die Begegnung mit den vermeintlich „Anderen“ während eines Austauschprogrammes in Deutschland führte bei Eliwat und Livin schließlich zu einem Umdenken, das beide als augenöffnendes und lebensveränderndes Ereignis beschrieben. Im Rahmen des Austauschprogrammes hätten sie erstmals die Möglichkeit gehabt, in einem geschützten Raum miteinander zu sprechen und sich kennenzulernen. „Wir hatten Angst voreinander, weil wir uns nicht kannten“, betonte Eliwat. Seitdem würden sie sich gemeinsam mit CfP für eine friedliche Lösung des Konfliktes einsetzen. Es gehe darum, ein Umfeld für Begegnungen zu schaffen, bevor größere gesellschaftliche Veränderungen geschehen könnten. Drei Grundsatzpunkte seien aus seiner Sicht dafür zentral, so Livin:
- Zeigen, dass „die Anderen“ nicht gefährlich sind;
- Jüd:innen zeigen, was (gewaltsamen) Widerstand schafft und was es heißt, unter einer Besatzung zu leben;
- Palästinenser:innen die andere Seite, die menschliche Seite Israels zeigen.
Um diese Ziele zu erreichen, müsse die Spirale wechselseitige Veranderung bzw. Dämonisierung durchbrochen werden, betonten die Gäste. Beide sprachen sich zudem entschieden für einen sofortigen Waffenstillstand aus.
Die anschließende Diskussionsrunde ging leider (oder erwartbar?) sehr schnell von den persönlichen Lebensgeschichten Eliwats und Livins zu Fragen nach politischen Lösungen für eine Deeskalation in Israel und Palästina über. Mit Blick auf CleaRNetworking eröffnen aber gerade die persönlichen Begegnungen einen Raum für wechselseitiges Kennenlernen, worin Ambiguitätstoleranz gewissermaßen ‚live und in Farbe‘ erlebt und erlernt werden, wo Ängste und Vorurteile im Gespräch ausgeräumt werden können; kurz: ein Begegnungsraum, in dem „die Anderen“ wieder zu Menschen werden. Wechselseitige Schulzuweisungen und einseitige Positionierungen ließen sich dadurch aufbrechen und es könne ein echter Dialog entstehen.
Es sei daher auch die falsche Herangehensweise, die Schuld für die jüngsten Eskalationen einseitig auf dieser oder jener Person, Partei oder Gruppe abzuladen, antwortete Eliwat auf die Frage einer Teilnehmerin. Er sah das Problem vielmehr in der Verfasstheit der gesellschaftlichen Ordnung in Israel und Palästina. Diese trage entschieden dazu bei, die Menschen voneinander zu trennen, anstatt sie zusammenzuführen. Als Beispiele führte er das obengenannte Gesetz sowie die israelische Siedlungspolitik an, aber auch die rechtliche Ungleichbehandlung von Israelis und Palästinenser:innen. Jene lebten in Israel unter einem anderen rechtlichen Statut, etwa in Bezug auf Reisefreiheit und andere Freiheitsrechte. Die Überwindung dieser Ungleichbehandlung sahen Eliwat und Livin daher als einen der Schlüssel zu einer friedlichen Beilegung des Konfliktes.
Israel sei als explizit jüdischer Staat gegründet worden, um Jüd:innen weltweit einen sicheren Ort zum Leben zu geben, betonte Livin und verstehe sich auch heute noch als solcher. Dies werfe aber die Frage auf, wie Staat und Gesellschaft mit Staatsbürger:innen mit nichtjüdischer Geschichte umgehen sollten [5]. Dies sei nur möglich in einem gesamtgesellschaftlichen Dialog, in dem alle Stimmen gleichermaßen (an)gehört würden und mit gleichen Rechten für alle Gesellschaftsmitglieder.
Literatur:
[1] CleaRNetworking (2023): https://www.clearing-schule.de/netzwerktreffen-juristische-paedagogische-ansaetze-im-umgang-mit-dem-nahostkonflikt-an-deutschen-schulen-26-10-2023/, Online verfügbar unter: Netzwerktreffen: Juristische & pädagogische Ansätze im Umgang mit dem Nahostkonflikt an deutschen Schulen, 26.10.2023
[2] https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/israel-palaestina-schule-100.html
[3] https://cfpeace.org/
[4] Buber, Martin (2021): Ich und Du. Ditzingen: Reclam
[5] Sznaider, Natan (2018): Gesellschaften in Israel. Eine Einführung in zehn Bildern. Berlin: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag.