Am 24.03.25 und 31.03.25 veranstaltete das CleaRNetworking ein zweiteiliges digitales Netzwerktreffen zum Thema „Pädagogischer Umgang mit rechten Parolen im Schulunterricht“. Geleitet wurde die Veranstaltung von Larissa Bothe vom Verein „Gegen Vergessen – für Demokratie e.V.“ aus Berlin. Gegen Vergessen engagiert sich seit mehr als 30 Jahren in der historischen Erinnerungsarbeit mit dem konkreten Einsatz für Demokratie und entwickelt konstruktive Lösungsansätze, um Engagement und demokratische Teilhabe zu fördern.
Demokratieskeptische bis hin zu rechtsextremen Einstellungen begegnen schulischem Personal auch in der pädagogischen Praxis – sei es bei Schüler:innen, im Kolleg:innenkreis oder in der Elternarbeit. Entsprechend brauche es eine bewusste pädagogische Auseinandersetzung mit diesen Herausforderungen, so Bothe.
„Wir sind alle Lernende“ – Situationsangepasst reagieren, statt Patentrezepte befolgen
Sie wolle den Teilnehmenden während des Netzwerktreffen keine vorgefertigten Antworten liefern oder gar Musterlösungen vermitteln, umriss die Referentin die Erwartungen einleitend. Vielmehr werde es darum gehen, durch die gemeinsame Analyse der von den Teilnehmenden eingebrachten und als herausfordernd erlebten Situationen pädagogisch-situationsangemessene Handlungsoptionen herauszuarbeiten, um dadurch deren Haltung- und Handlungsfähigkeit zu stärken.
In der Präventionsarbeit biete es sich an, analytisch zwischen einer institutionellen und der persönlichen Ebene zu unterscheiden. Beide Ebenen seien unterschiedlich gerahmt, wie Bothe anhand der Trias aus Prävention, Intervention und Nachsorge aufzeigte. Mit Blick auf das Clearing-Verfahren heißt das z.B., dass die Nachsorge nach einem abgeschlossenen Verfahren auf der persönlichen Ebene andere Formen annimmt, z.B. durch eine Supervision, als auf der institutionellen Ebene.
Die institutionelle Ebene:
- Prävention: z.B. pädagogische Leitbilder, rechtliche Rahmen;
- Intervention: z.B. strafrechtliche Konsequenzen;
- Nachsorge: z.B. Pressearbeit;
Die persönliche Ebene:
- Prävention: z.B. Wissen über Phänomenbereiche, Sensibilisierung, Handlungs- und Kommunikationsstrategien;
- Intervention: Anwendungs-, Handlungs- und Kommunikationsstrategien
- Nachsorge: Kollegiale Beratung.
Beide Ebenen haben in der Berufspraxis schulischen Personals ihre Berechtigung. Sie voneinander zu trennen, kann den handelnden Personen Klarheit geben.
Positionierungsübung: Meine Grenze
In der anschließenden Gruppenübung bat Bothe die Teilnehmenden darum, sich gegenüber drei verschiedenen Aussagen zu positionieren; von „unproblematisch“ bis „geht gar nicht“. Die Aussagen im Einzelnen:
- „Jungs können gut Fußball spielen“;
- „Es gibt in der Klasse nur noch Muslime, kaum noch Deutsche“;
- „Ich höre im Bus nur noch Russisch. Das macht mir Angst“;
Wichtig sei immer zu klären, wer welche Aussage in welchem Kontext tätige, war sich das Plenum schnell einig. Denn nicht immer ließen sich rassistische, diskriminierende oder rechtspopulistische Äußerungen sofort und eindeutig erkennen. Es gelte daher einen Gesprächsraum zu eröffnen und z.B. zu fragen, weshalb es der Person Angst mache, während der Busfahrt „nur noch russisch“ zu hören. Interesse zeigen, empathisch sein, das sei der erste Baustein für Beziehungsarbeit. Damit gehe auch eine deutliche Positionierung vonseiten schulischen Personals bei eindeutigen rassistischen, diskriminierenden, rechtspopulistischen oder beleidigenden Äußerungen einher. Eine der zentralen Erkenntnisse des Workshops jedoch lag darin, dass es sinnvoll sein kann, Empathie gegenüber einer Person zu zeigen, die eine rassistische, diskriminierende oder rechtspopulistische Äußerung tätige – und vor allem, dass mit dieser Empathie keine Zustimmung zu jener Äußerung einhergeht.
Strategietafel zum Umgang mit rechten Parolen
Wie lässt sich das oben beschriebene Vorgehen aber nun in die Tat umsetzen? Hierzu stellte die Referentin eine Strategietafel mit fünf Leitfragen zum Umgang mit rechten Parolen vor, an der sich schulisches Personal orientieren kann:
- Kontext: Wer ist eigentlich beteiligt?
- Was macht die Aussage mit mir?
- Wie gefestigt ist mein Gegenüber in der Position?
- Warum fühlt die Person so?
- Was ist mein Ziel (des Gespräches)?
Mit Blick auf unser Clearing-Verfahren kann die Strategietafel Clearingteams dabei unterstützen, Hinweise auf mögliche Radikalisierung im Rahmen der Vorrecherche adäquat einzuschätzen sowie Gespräche während der vertieften Recherche vorzubereiten, durchzuführen und nachzubereiten. Nicht als Checkliste, sondern als Leitfaden.
Der Ansatz der konstruktiven Kommunikation
Die pädagogische Arbeit von „Gegen Vergessen – für Demokratie e.V.“ gründet sich auf dem Ansatz der konstruktiven Kommunikation. Da dieses Konzept für die Vereinsarbeit zentral ist, stellte die Referentin dessen Grundannahmen zum Abschluss des ersten Termins kurz vor [1].
Unter konstruktiver Kommunikation versteht der Verein eine Kommunikationskultur, die gesellschaftlicher Polarisierung entgegenwirkt und zu Lösungen statt Spaltung(en) führt. Sie soll helfen, im alltäglichen Miteinander mit Differenzen umzugehen und diese auszuhalten. Konstruktive Kommunikation ermöglicht es, die eigene Meinung zu vertreten und zum Ausdruck zu bringen – und gleichzeitig den Meinungen anderer zuzuhören und diese zu akzeptieren, ohne diese zu be- oder abzuwerten. Die „Spirale der trennenden Kommunikation“ hingegen stelle die Differenzen zwischen Alter und Ego in den Vordergrund und treibe Menschen auseinander. Die „verbindende Kommunikation“ fördere ein empathisches Miteinander, Dialog- und Gesprächsbereitschaft.
„Empathisch zu sein heißt nicht einverstanden sein“, betonte Bothe mit Nachdruck. Konstruktive Kommunikation suche zwar nach einem gemeinsamen Nenner zwischen Alter und Ego, komme aber ohne eine klare Position schulischen Personals nicht aus (z.B. institutionelle Ebene, Sachebene, persönliche Ebene, emotionale Ebene). Dadurch unterstütze der Ansatz schulisches Personal dabei, die eigene Haltung im Gespräch klar darzustellen, Wünsche und Erwartungen (von Alter wie Ego) klar zu kommunizieren, ohne das Gegenüber dabei aber ‚von oben herab zu behandeln‘.
In unserem Muster eines Konzepts schulischer Radikalisierungsprävention wird der Ansatz der konstruktiven Kommunikation und dessen Bezug zum Clearing-Verfahren ausführlicher erklärt [2]:
Der Umgang mit menschenverachtenden, demokratiefeindlichen oder gewaltverherrlichenden Äußerungen unter Schüler:innen kann herausfordernd sein. Schnell gerät pädagogisches Personal in eine Spirale trennender Kommunikation: Auf einen provokanten Auslöser folgt eine moralische Bewertung – etwa durch Gegenvorwürfe, Rechtfertigungen, Gesprächsabbrüche oder gar persönliche Angriffe. Das kann dazu führen, dass sich das Gegenüber weiter in die eigene ideologische Blase zurückzieht.
Hier setzt der Ansatz der konstruktiven Kommunikation an (Bothe 2023). Ziel ist es, in schwierigen Gesprächssituationen nicht durch Abwehr oder Konfrontation, sondern durch Empathie und Dialogbereitschaft Zugang zum Gegenüber zu schaffen – auch dann, wenn sie für uns nur schwer erträglich sind.
Was schulisches Personal (im Verlauf eines Clearing-Verfahrens) dazu beitragen kann:
- Aussage und Person trennen: Radikale oder diskriminierende Aussagen dürfen benannt und eingeordnet werden, ohne das Gegenüber abzuwerten. Man kann Wertschätzung zeigen, ohne Zustimmung zu signalisieren: Empathisch sein bedeutet nicht, einer Position zuzustimmen – es heißt, den Menschen dahinter wahrzunehmen.
Beispiel: Ein Schüler äußert im Unterricht: „Flüchtlinge kriegen doch eh alles in den Hintern geschoben, während wir hier nichts haben!“ Die Lehrkraft bleibt ruhig, vermeidet eine impulsive Gegenreaktion und sagt: „Ich höre, dass du dich ungerecht behandelt fühlst – das kann ich nachvollziehen. Mir ist aber wichtig, dass wir bei solchen Themen sachlich bleiben und Menschen nicht pauschal abwerten. Lass uns anschauen, was tatsächlich an Unterstützung geleistet wird und wo vielleicht auch Probleme liegen.“
So wird die Aussage eingeordnet, aber die Person nicht verurteilt. Die Lehrkraft zeigt Wertschätzung für das emotionale Bedürfnis nach Gerechtigkeit – ohne die diskriminierende Aussage zu akzeptieren.
- Mit Empathie reagieren: Auf Provokation nicht impulsiv oder abwertend reagieren, sondern dialogbereit bleiben. Ziel ist zunächst, eine Gesprächsbereitschaft herzustellen oder zu halten.
Beispiel: In einer Pause sagt ein Schüler: „Ich würde die alle einfach rauswerfen – die passen nicht hierher.“
Statt mit Abwehr oder Konfrontation zu reagieren, antwortet die Schulsozialarbeiterin: „Das klingt, als ob du dich irgendwie bedroht oder übergangen fühlst. Magst du erzählen, woher das kommt?“
Die Reaktion ist nicht wertend, sondern öffnet einen Raum für Dialog. Durch die empathische Haltung wird die emotionale Ebene angesprochen, auf der ein Gespräch überhaupt erst möglich wird.
- Selbstreflexion des Gegenübers fördern: Viele junge Menschen sind sich ihrer Gefühle, Bedürfnisse oder Wünsche gar nicht bewusst. Diese lassen sich gemeinsam erarbeiten. Sie bieten meist einen effektiveren Zugang zu Menschen, als moralische Bewertungen, Vorwürfe oder Rechtfertigungen.
Beispiel: Eine Schülerin äußert wiederholt Verschwörungserzählungen, etwa: „Die da oben wollen uns alle kontrollieren, deshalb impfen sie uns!“ Die Lehrkraft sagt im Einzelgespräch: „Was macht dir an dem Gedanken am meisten Angst? Und was wünschst du dir stattdessen?“
Statt die Aussage direkt zu entkräften, wird nach den darunterliegenden Gefühlen und Bedürfnissen gefragt. Dadurch kann die Schülerin eigene innere Prozesse reflektieren, was langfristig zur Distanzierung von extremen Positionen beitragen kann. - Werte ins Gespräch bringen: Radikalisierte Positionen treffen oft auf einen Wertekonflikt. Wenn gemeinsame Werte identifiziert werden können (z. B. Gerechtigkeit, Zugehörigkeit, Sicherheit), wird ein Gespräch auf Augenhöhe möglich.
Beispiel: Ein Schüler beschwert sich über Gleichstellung und äußert: „Früher hatten Männer wenigstens noch was zu sagen. Heute dürfen ja nur noch Frauen mitreden.“
Die Lehrkraft nimmt den Impuls auf und fragt: „Was genau macht dir daran Sorgen? Worum geht’s dir – um Gerechtigkeit, Respekt, Fairness?“
Der Schüler wird eingeladen, seine Aussage auf der Werteebene zu hinterfragen. Gemeinsam kann ausgelotet werden, ob es z. B. ein gemeinsames Bedürfnis nach Fairness oder Anerkennung gibt – trotz unterschiedlicher Sichtweisen.
Konstruktive Kommunikation hat (nur!) dort ihre Wirksamkeit, wo Gesprächsbereitschaft besteht. Das sogenannte Zwiebelmodell (nach Dieter Rucht) unterscheidet verschiedene Radikalisierungsgrade: Während Bewegungseliten oder Basisaktivist:innen meist gefestigt in ihren Weltbildern sind und selten offen für Austausch, ist die “bewegliche Mitte” – Unterstützer:innen und Sympathisant:innen – oft noch erreichbar. Hier kann konstruktive Kommunikation wirksam werden. Wo hingegen Dialogbereitschaft fehlt, braucht es andere Maßnahmen wie Tertiärprävention oder gezielte Deradikalisierungsarbeit.
Fallbeispiel – rassistische Diskriminierung auf dem Pausenhof
Der zweite Tag des Netzwerktreffens baute sich rund um ein von einer teilnehmenden Schule eingebrachte Fallbeispiel auf. Es ging um einen sich dort schon länger hinziehenden Fall rassistischer Diskriminierung von zwei weißen Schüler:innen gegenüber einem Schwarzen Schüler [3]. Anhand diese Fallbeispiels übten die Teilnehmenden den Ansatz der konstruktiven Kommunikation praxisnah ein. Dazu teilte Bothe die Gruppe auf und wies jeder Teilgruppe einen Breakoutraum zu.
Ausgangspunkt der Gruppenarbeit waren beleidigende Äußerungen der beiden Schüler:innen gegenüber ihrem Mitschüler. Davon ausgehend bat Bothe die beiden Gruppen folgende Punkte zu klären:
- Beteiligte (z.B. Betroffene Schüler:innen, Lehrkräfte, Schulsozialarbeit, Umstehende Zuhörende);
- Innere Eisberge (z.B., welche Emotionen bzw. emotionale Positionierungen hatten die Teilnehmenden an der Interaktion/Situation; Bedürfnisse/Wünsche der Teilnehmenden);
- Zielklärung (Welche Ziele will das schulische Personal mit den anschließend zu beschließenden pädagogischen Maßnahmen erreichen? Wessen Bedürfnisse werden wie berücksichtigt? Auf welcher Handlungsebene befinden sich die Maßnahmen – Prävention, Intervention, Nachsorge);
- Gespräche (z.B. Einzel- oder Gruppengespräche, wessen Anliegen sollen (prioritär) besprochen werden?)
Aus Sicht unseres Clearing-Verfahrens bieten diese vier Punkte inklusive der Strategietafel einen gangbaren Fahrplan, um die Vorrecherche sowie die vertiefte Recherche anzuleiten und Gespräche während dieser Schritte oder während der Durchführung der Maßnahmen vor- und nachzubereiten sowie durchzuführen [4].
Manchmal könne es auch eine Maßnahme sein, kein Gespräch zu führen, betonte die Referentin mit Blick auf Punkt vier. Etwa, um einem provozierenden Verhalten keine zusätzliche Bühne zu bieten. Wichtig sei aber immer die klare Positionierung schulischen Personals gegenüber dem als nicht akzeptabel markierten Verhalten. Diese Positionierung sollte dabei immer für das inakzeptable Verhalten gelten, nicht für die Person. In Anlehnung an das Konzept der wachsamen Sorge in der neuen Autorität könnte man sagen: Wir schätzen dich als Person, aber nicht dein Verhalten [5].
Sicher sei es zu Beginn anstrengend, die vorgestellten Schritte in einem Fall zu gehen, besonders wenn es wie so oft schnell gehen müsse und sowieso kaum personelle und/oder zeitliche Ressourcen vorhanden seien, gab Bothe zu. Doch es lohne sich, diese Schritte zu gehen. Die dadurch aufgebauten und eingebübten Routinen seien so auch dann verfügbar, wenn es schnell gehen müsse und würden dadurch handlungsentlastend wirken. Ganz im Sinne unseres Clearing-Verfahrens: Erst einmal tief durchatmen; und erst dann strukturiert und bedacht vorgehen.
Literatur:
[1] Das Argutraining (2021): Was ist konstruktive Kommunikation? https://www.youtube.com/watch?v=6g4CTi7nvpo
[2] clearing-schule.de: Musterkonzept Clearing Schule. Online verfügbar unter: https://www.clearing-schule.de/materialien-publikationen/.
[3] Friedrich Ebert Stiftung (o.J.): Was bedeutet PoC oder auch: People of Color? Online verfügbar unter https://www.fes.de/wissen/gender-glossar/people-of-color.
[4] clearing-schule.de: Das Clearing-Verfahren. Online verfügbar unter: https://www.clearing-schule.de/das-clearing-verfahren/.
[5] Schweitzer, Jochen; Schlippe, Arist von (2016): Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung. Studienausgabe. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.